Ein Hauch von Schnee und Liebe
Weihnachten in Hope Valley

Leseprobe

 

Eve Barley hat das kurze Streichholz gezogen. Dieses Jahr ist sie dran, das Weihnachtfest bei ihrer schrägen Tante in den East Midlands zu verbringen. Na toll. Wenn sie den Mann fürs Leben garantiert nicht finden will, dann dort. Zumal sie dem Mann ihrer Träume in einer mehr als peinlichen Situation bereits begegnet ist.
Auf dem Weg in das verschneite Dorf wird Eve in einen Unfall verwickelt und triff auf den Mann, dem sie nie wieder über den Weg laufen wollte …

Er ist reich, er ist schön, er ist beliebt. Adam Slater führt ein Leben auf der Überholspur – bis ein Unglück alles verändert. Entstellt und voller Schuldgefühle zieht er sich an den Rand des abgelegenen Dorfes Hope Valley zurück. Das Leben, wie er es bisher kannte, ist unwiderruflich vorbei. Erst Eve gelingt es, Zugang zu seinem verschlossenen Herzen zu erlangen.

Haben die beiden eine Zukunft?

Manchmal zwingt das Schicksal Menschen auf holprige Wege. Damit sie erkennen, was wirklich zählt. Um zu erkennen, dass ein Mensch sich nicht durch sein Äußeres definiert. Sondern dadurch, wie er Herzen berührt. Um die Liebe zu finden.
Und bisweilen braucht es auch ein klitzekleines Wunder.

Warum bin ich eigentlich so durch den Wind? Oder ist das nur die Aufregung? Schließlich gehe ich äußerst selten fürstlich dinieren. Korrigiere: nie.
Heute schon.
Mein Bruder Ethan hat Geburtstag. Die Tatsache, dass er jetzt seinen dreißigsten feiert, stimmt mich nachdenklich.
Dreißig …
Beschäftigt mich die magische Zahl, die uns Frauen oft als Maßstab dient? Was, du hast noch keine Kinder? Wie, du bist immer noch Single? Jetzt wird es aber mal langsam Zeit für den Hafen der Ehe, oder? Gut, mir bleiben noch vier Jahre. Mit sechsundzwanzig bin ich die Jüngste, meine Schwester Ruby ist die Mittlere von uns. Und irgendwie habe ich das Gefühl, auf dem Beifahrersitz des eigenen Lebens zu sitzen.
Ich schüttle diese blödsinnigen Gedanken aus dem Kopf, gehe zum mannshohen Flurspiegel und ziehe ein paar lockige, brünette Strähnen aus dem hohen Zopf, den ich mir für das edle Dinner gebunden habe, und lasse sie verspielt seitlich der Ohren und am Nacken herunterhängen.
Ob ich angemessen angezogen bin für diesen gehobenen Rahmen? Ich bin unsicher, ob und welcher Dresscode in dem Nobelschuppen vorherrscht.
Was solls. Selbst wenn ich Ahnung hätte, würde ich kein geeignetes Outfit im Schrank finden. Haute Couture ist nichts für eine kleine Londoner Friseurin wie mich. Die Hälfte meines Gehalts geht für die Mietkosten der Ein-Zimmer-Wohnung drauf. Souterrain, dunkel, feucht. Unabhängig davon trage ich gerne das, worauf ich Lust habe und worin ich mich gut fühle. Das kleine Schwarze gehört nicht dazu.
Vielleicht sollte ich mich etwas mehr anpassen?
Immerhin ist die Frisur perfekt. Ich kann es kaum erwarten, dass mein Leben endlich jene Kurve nimmt, die ich mir erträume. Will ich zu viel? Andere schaffen es doch auch, sich eine Existenz in Wohlstand aufzubauen.
»Oder sich zumindest einen vermögenden Mann zu angeln«, murmele ich in den leeren Raum hinein und muss kurz auflachen. Eve baut wieder Luftschlösser, würde meine Schwester mich necken.
»Wer angelt sich einen reichen Typen?«, fragt Ethan, der gerade aus dem Wohnzimmer auf mich zukommt.
»Niemand. Vergiss es«, antworte ich. »Gott, du siehst aus wie James Bond.«
»Das werte ich als Kompliment.«
»Soll auch eines sein. Du bist verdammt attraktiv.«
»Danke, Schwesterchen.« Er betrachtet mich eingehend und zwischen seinen Augenbrauen bildet sich eine kleine Falte. Ich ahne, was jetzt kommt.
»Bist du sicher, dass so ein tiefer Ausschnitt und ein knapper Lederrock das passende Outfit für heute ist? Bisschen eng, das Shirt, oder?«
»Äh …«
»Ich sag ja nur …« Ethan zuckt mit den Schultern und geht grinsend nach draußen.
»Ja, du mich auch, Bruderherz!«, rufe ich ihm hinterher, doch der Schaden ist bereits angerichtet.
Kritisch betrachte ich jeden Zentimeter meines Körpers und bekomme sofort das dringende Bedürfnis nach einer Handvoll Lakritz.
Zugegeben, das Shirt ist ein bisschen eng und wenig schmeichelhaft in Bezug auf kleine Bauchröllchen. Verdammt, es ist aber auch total schwer, dem Winterspeck an den Kragen zu gehen und die fünf Pfund abzunehmen, die ich mir gemütlich über ein Jahr angefuttert habe.
Da wären sie wieder, meine drei Probleme: molliger Single in minderwertigem Outfit mit Hang, den Kopf in den Sand zu stecken.
Ich sollte vielleicht doch mit Sport anfangen? Furchtbare Vorstellung.
»Kommst du, Darling?« Mom flaniert mit Dad und Ruby im Schlepptau an mir vorbei. »Du siehst hübsch aus.«
»Danke«, murmle ich. »Und ihr total elegant.«
»Ein bisschen knapp, der Rock, oder?«, bemerkt mein Vater lakonisch, und bevor ich etwas entgegnen kann, ist er mit den anderen schon zur Tür raus.
»Das trägt man so, Cleve!«
Ich möchte mir einen Müllsack überstülpen. Mit Glitzer. Und Puschel. In Regenbogenfarben.
Letzter Blick in den Spiegel. Sexy! Und wie! Jawohl! Ich bin gut aussehend und fraulich. Kein Klappergestell. Nicht die Kleidung macht die Frau, sondern das Auftreten und die Ausstrahlung.
Also, Eve, Schultern zurück, Brust raus, Kinn hoch, lächeln. Du bist verdammt attraktiv. Und der Lederrock ist einfach nur heiß. So!

Das französische Fünf-Sterne-Restaurant Didier La Chapelle gilt laut meinem Bruder als beste Adresse für die illustre Gesellschaft.
Hohe Steindecken, riesige Rundbogenfenster und vier Säulen aus braunem Stein mitten im saalartigen Raum, eingerahmt von schweren dunklen Vorhängen, lederne Stühle, schneeweiße Tischdecken und überall Kristallleuchter, edel gekleidete, vornehm flüsternde Menschen, verhaltenes Klappern von Besteck. Internetbilder sagen ja schon einiges, aber tatsächlich mittendrin zu stehen, ist noch mal etwas anderes. Hier ist es so exquisit und pompös, dass mich mein tief ausgeschnittenes Shirt förmlich anschreit, ich solle es bedecken, austauschen, Serviette draufkleben.
Tja, da muss ich jetzt wohl durch. Am besten, indem ich mir wiederholt in Erinnerung rufe, dass ich es nicht nötig habe, mich zu verstecken.
Die Realität ist: Ich fühle mich wie ein buntes Gummibärchen unter edlen, mit Goldpuder bestäubten Schokosticks.
Ich rutsche so nah an den runden Tisch, dass mir die Kante in den Bauch drückt. Über den Rand der Speisekarte hinweg lasse ich meine Blicke schweifen.
Überall sitzen Männer in feinen Maßanzügen und Frauen in exklusiven und wahrscheinlich schweineteuren Cocktail- und Abendkleidern. Gedeckte Farben herrschen vor. Hauptsächlich Schwarz, gelegentlich ein Tupfer Blau.
»Was ist denn das hier?«, frage ich Ruby und deute in der Karte auf Foie Gras, Carbonnade Flamande und Escargots au beurre persillé. Aussprechen kann ich das nicht. »Die servieren doch hier hoffentlich keine Schnecken oder Froschschenkel auf Marihuana?«
Ethan sieht mich stirnrunzelnd an und deutet ein Kopfschütteln an.
Ruby beugt sich zu mir. »Gänseleberpastete und flämischer Rinderschmorbraten. Escargots sind Burgundschnecken in Kräuterbutter.«
»Super. Ich nehme den Braten.«
Irgendwo neben mir ertönt lautes Gelächter, das so gar nicht in die vornehm steife Atmosphäre dieses Etablissements zu passen scheint. Zwangsläufig drehe ich mich im Stuhl um – und erstarre.
Das Lachen kommt von einer Gruppe aus der Kategorie: gehobene Gesellschaftsschicht. Bestehend aus sechs Personen, zwei Tische weiter. Sie wirken, als ob sie einer Vogue-Werbung für unbezahlbare Mode und hippe Accessoires entsprungen wären, die sich kein Normalsterblicher je leisten könnte.
Was haben diese Frauen, was ich nicht habe?
Die Antwort liegt auf der Hand: ein immenses Vermögen. Und wahrscheinlich eine veritable Essstörung, wenn ich mir die knochigen Schultern so ansehe.
Automatisch ziehe ich den Bauch ein und richte mich gerade. Gleichzeitig versuche ich, nicht zu offensichtlich zu starren. Denn dort, am Rand des Speisesaals neben dem großen Fenster mit Blick auf den Spital Square, sitzt ein Mann, der mit seinem unglaublich attraktiven Lachen und seiner Erscheinung aus der Masse heraussticht. Er ist der Inbegriff von reich, schön und so heiß, dass mein Herz ein paar Takte schneller schlägt und sich die Schweißtropfen im Ausschnitt sammeln.
Dunkle, perfekt gestylte Haare. Gesichtszüge wie aus Stein gemeißelt. Eine gerade Nase, hohe Wangenknochen, sinnlicher Mund, ein leicht gebräunter Teint und so schöne Augen, dass ich mich selbst über diese Entfernung sofort darin verliere. Er hört gerade einer Miss Perfect zu, einer etwas zu hageren Blondine zu seiner Rechten. Sie himmelt ihn an, er lächelt gnädig, antwortet, ist charmant, sieht jedoch gelangweilt aus.
Wieso kann nicht ich mir einen von dieser Sorte angeln? Ich könnte genauso gut an diesem Tisch sitzen, bin attraktiv genug, um … Okay, vielleicht nicht so exklusiv gekleidet, aber clever und tough. Letzteres zumindest nach außen hin.
Es ist warm hier. Der Lederrock pappt mir am Schenkel, als wolle er eine Symbiose mit meinen Beinen eingehen. Auf ewig verbunden.
Ich kichere kurz in die Speisekarte, fange mir einen scharfen Blick von Dad ein und erinnere mich, wie stolz ich gewesen bin, ebendieses klebende Schnäppchen im Ausverkauf in einem Laden in der Bond Street ergattert zu haben. Aber nur, weil ich einer anderen Kundin mit einem Hechtsprung zuvorgekommen bin.
Ich seufze und wende den Kopf wieder zu dem heißen Gentleman.
Was er wohl von Beruf ist? Investment-Banker? Broker, CEO? Oder verdient er sein Geld mit etwas, das sexy klingt, von dem aber niemand genau weiß, was es zu bedeuten hat?
Was diesen scharfen Typen noch viel interessanter wirken lässt.
Ich frage mich, ob es irgendeine Möglichkeit geben könnte, mit ihm in Kontakt zu treten.
»Erde an Eve?«, höre ich meine Mutter sagen und zucke nach rechts.
»Hm?«
»Eve ist abgelenkt, Mom«, sagt Ethan und grinst breit.
»Mitnichten, Bruder! Ich betreibe Gesellschaftsstudie. Bin ja nicht oft von High Society umgeben.« Insgeheim klopfe ich mir auf die Schulter. Gute Antwort. Schlagfertige Antwort.
»Der Mittelpunkt deiner Studie ist eine Nummer zu groß für dich, meinst du nicht, Schwesterherz?«
»Keine Ahnung, wovon du sprichst«, sage ich und greife zum Wasserglas.
Zu allem Überfluss dreht sich nun auch der Rest der Familie in jene Richtung, in die Ethan mit dem Kinn deutet.
Geht es noch ein bisschen auffälliger?!
»Oh, ein sehr faszinierender Mann. Guter Geschmack«, sagt Mom. »Der Herr neben ihm sieht aber auch zum Anbeißen aus.«
»So wie ich.« Mein Vater nimmt ihre Hand und Mom lächelt ihn liebevoll an.
»Bei Weitem nicht so attraktiv wie du, Darling.«
»Seine Begleitung ist ein steiler Zahn«, erwidert Ethan und stupst mir in die Seite.
»Möglich, aber leider dämlich. Ihr entschuldigt mich, ich muss mal ganz unelegant zur Toilette.« Ich zucke mit den Schultern und stehe auf.
»Beeil dich, die Vorspeisen kommen gleich«, sagt Dad.
An der Bar stoppe ich. Wo zur Hölle geht es lang? Ich sehe nirgends ein Schild.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragt der Barkeeper und lächelt mich unterkühlt an.
»Ja, danke, sehr freundlich. Wo sind denn die Damentoiletten?«
»Neben dem Eingang links die Treppe hinunter.«
Ah, da ist er, der Treppengang. Hat sich gut getarnt. Das winzige Schild ebenfalls.
Beim nächsten Wimpernschlag versteife ich spontan.
Och nö, ne? Ich muss am Tisch von Mr Unwiderstehlich vorbei.
Außer ich nehme den Umweg durch das komplette Restaurant. Das allerdings würde meinen Eltern auffallen und sie würden Fragen stellen. Eben gerade winkt mir Mom verhalten zu und deutet zur Treppe.
»Mist«, stoße ich leise aus und mache mich auf den Weg.
Brust raus, Schultern zurück, Kinn nach oben. Wer weiß? Vielleicht bin ich ja sein Typ?
Ich schreite selbstsicher los, den Blick wie hypnotisiert auf den besagten Tisch gerichtet, das feuchte Gefühl von Kunstleder an den Beinen ignorierend. Moment … Wenn ich schon einen Minirock trage, kann ich ihn auch bestmöglich zur Schau stellen.
Hüftschwungmodus wird umgehend eingeleitet.
Sieh her. Hier bin ich! Na? Heiß, nicht wahr? Übrigens: Du gefällst mir.
Ach, wenn ich doch nur den Mut hätte, diese Worte tatsächlich auszuspre… Was zur Hölle!?
Ein Schlag gegen meine Schulter bremst mich unsanft ab. Ich stoße ein unweibliches »Uh!« aus, es klirrt, alle sehen zu mir.
Alle. Einfach alle!
Auch er!
Auf dem Boden vor mir liegt ein Silbertablett, darum und darauf jede Menge zerbrochenes Kristall. Perlende Flüssigkeit bahnt sich den Weg in die Ritzen des Parketts. Daneben ein Kellner. Er rappelt sich auf. Meine Schulter muss härter sein als gedacht.
»Kann ich helfen?!« Ich strecke ihm die Hand hin. »Tut mir unglaublich leid, ich habe Sie nicht gesehen.«
»Kein … Problem«, presst er angesäuert zwischen den Zähnen hervor und ignoriert meine Hand.
Ich gehe in die Knie, will ihm helfen, doch sofort stürzen zwei weitere Kellner herbei und bugsieren mich freundlich, aber bestimmt zur Seite. Ich trete ein paar Schritte zurück und rutsche auf meinen hochhackigen, mit Champagner besudelten Schuhen aus. In letzter Sekunde greife ich nach einem Stuhl hinter mir.
»Aua! Geht’s noch, du Trampel?«, fährt mich eine Frau an.
Ups! Jetzt weiß ich auch, warum der Stuhl eine Hilfe gewesen ist. Er ist beschwert. Die Blondine sitzt drauf. Okay, ein bisschen beschwert. Reine Knochenmasse mit Haut drumrum wiegt nicht viel. Doch immerhin genug, um meinen Sturz abzufangen. Nach wie vor klammere ich mich an die Stuhllehne – und an ein paar langen, blonden Haarsträhnen, die darüber hängen.
Hastig ziehe ich die Hand zurück, als hätte sie sich an Barbie verbrannt.
»Entschuldigung, Verzeihung. Tut mir leid«, sage ich, ohne die Frau dabei anzusehen.
Stattdessen blicke ich zu Mr Ultrahot. Der starrt mich an, als stünde ein Wesen aus einem anderen Universum vor ihm. Womit er nicht ganz falschliegt. Das französische Edeluniversum ist sonst eher nicht mein bevorzugtes Revier.
Ich würde mich gerne bewegen. Geht nicht, ich muss ihn anstarren. Und der Rock klebt. Das Zeug auf den Schuhen auch. Und ich an seinen Augen.
Was macht er denn jetzt?
Langsam steht er auf, bleibt einen kurzen Moment neben seinem Stuhl stehen und kommt auf mich zu.
Er kommt auf mich zu? O Gott! Ganz ruhig, Herz, sonst galoppierst du mir noch davon.
»Hi.« Ich lege den Kopf in den Nacken. Die Welt um mich herum verschwimmt. Es gibt keine zerbrochenen Gläser mehr, keine mürrischen Kellner, keine Champagner-Pfütze. Nur uns beide.
»Das war im Übrigen unser Champagner.« Er hebt hoheitsvoll eine Augenbraue. »Ich gehe davon aus, dass Sie ihn ersetzen werden?«
»Wie bitte?«, frage ich.
»Ich sagte, ich gehe davon aus, dass …«
»Ja, ja, ich bin ja nicht taub. Nur etwas fassungslos. Deswegen brauche ich Zeit für eine passende Erwiderung. Zum Beispiel durch Gegenfragen. Oder man erklärt umständlich, was nicht erklärungsbedürftig ist. Außer man möchte, wie gesagt, Zeit gewinnen.«
»Wie bitte?«, fragt nun er.
»Sehen Sie? Das meinte ich.«
»Was meinten Sie?« Er scheint verwirrt.
»Sie schinden Zeit. Finden Sie das in Ordnung?«
Was rede ich denn da? Egal. Barbie guckt mich an wie ein Auto. Sie versteht wahrscheinlich nur Bahnhof. Na bitte. Was nützt ihr der teuerste Fummel, wenns im Hirn nur matt leuchtet?
»Ich?«, gibt er amüsiert zurück. »Sie sind mir ja eine Wortverdreherin. Der Champagner geht auf Sie. Ist das deutlich genug?«
»Nicht im Geringsten. Was bilden Sie sich überhaupt ein?«
Oje, mein Hirn schaltet auf Autopilot. Das ist nicht einer meiner besten Eigenschaften und hat mir schon als Jugendliche immer mal wieder Probleme bereitet. Ein Schutzmechanismus, um die Situation, diese überdimensionale Peinlichkeit und den abwertenden Blick meines anbetungswürdigen Gegenübers möglichst zeitnah wegzupacken!
Kein Zweifel, ich habs auf der ganzen Linie versaut.
»Was ich mir … einbilde?«, fragt er konsterniert nach.
Jetzt sind alle beiden Brauen oben. Barbie kichert, sagt irgendwas Abfälliges und alle am Tisch lachen. Ich möchte dieser geschniegelten Dummstrunze jetzt so gern den Hals umdrehen.
»Ja, genau. Was zur Hölle bilden Sie sich eigentlich ein? Sie sitzen hier mit popeligen Parodien der Hilton-Schwestern und in Outfits mit dem Gegenwert des Jahresgehalts eines Fabrikarbeiters, der eine vierköpfige Familie ernähren muss. Wahrscheinlich ist sogar Ihre Zahnseide vergoldet. Widerwärtig! Und Sie verlangen von mir, Ihre Kack-Moët-Prickelbrühe zu ersetzen?«
»Moët & Chandon«, korrigiert er mich.
Vollpfosten, überheblicher!
»Ihr blasiertes Lächeln kippen Sie am besten direkt in die Sektpfütze, Mister! Spendieren Sie mal lieber dem ganzen Saal hier eine Runde, das zahlen Typen wie Sie ohnedies aus der Portokasse! Und vom Rest des Geldes kaufen Sie sich eine Seele. Angenehmen Abend noch! Und – ach ja – es hat mich nicht gefreut, Ihre erlauchte Bekanntschaft gemacht zu haben!«
Bevor er antworten kann, stürme ich an ihm vorbei, stolpere über irgendwas, wahrscheinlich die eigenen Füße, fluche ein klein wenig zu laut und haste die Treppe hinunter.
Meine Wangen glühen, in den Lidern brennen Tränen der Beschämung. Und der Wut.
Auf diesen Kerl. Auf mich. Auf diese Prickelbrause Mo-Ä-Dingsda. Ach, einfach auf alles.

Ihr blasiertes Lächeln kippen Sie am besten direkt in die Sektpfütze, Mister!

Dieser Satz verfolgt mich schon seit Tagen, unsicher, ob ich über die Unverfrorenheit der jungen Dame wütend oder amüsiert sein soll.
Obwohl … Dame ist nicht die korrekte Bezeichnung. Ihre Kleidung ist eher dem Billigsegment zuzuordnen gewesen, und ihr Verhalten lässt vermuten, dass sie aus einer niedrigen bis mittleren Bildungsschicht kommt. Dennoch war sie ganz niedlich.
Natürlich habe ich sie die Kosten nicht übernehmen lassen – um nicht als Arschloch dazustehen. Die Rolle des Gönners steht mir einfach besser. Was sind schon ein paar Gläser Champagner. Dafür muss sie bestimmt lange arbeiten, also was solls.
»Hey, sind die Aktien an der Börse abgestürzt oder warum machst du ein Gesicht, als wäre dein Whiskey Sour sauer?« Jake wankt bedenklich, im Arm eine Blondine, deren Namen ich vergessen habe, und lässt sich neben mich auf den mit grünem Leder bezogenen Barhocker fallen.
»Whiskey Sour ist sauer, mein Freund. Ich denke nach, das ist alles.«
»Er denkt nach! Guter Witz!«, grölt er völlig unpassend heraus. Nicht angemessen in der edlen Atmosphäre der Connaught Bar, der exklusivsten Hotelbar in London – und ganz nebenbei unser liebster Ort an mehreren Abenden der Woche. »Heute gilt: Trink oder vögele, aber denke nicht.«
Zur Bekräftigung seiner Worte packt er seiner Begleitung an den Hintern und grinst lüstern. Sie kichert und ich wende mich seufzend meinem Glas zu. Der Spaß sei ihm gegönnt.
Jake hat eine ansprechend gut proportionierte Blondine für den heutigen Abend, ich übe mich ausnahmsweise in Enthaltsamkeit. Manchmal tut es gut, einfach nur an der Bar zu sitzen und sich gepflegt einen hinter die Binde zu kippen. Sex hatte ich diese Woche ausreichend, brauche ich heute nicht. Man muss auch mal eine Pause einlegen.
Ich genieße die vornehme, elegante Kühle der grausilbernen Bar. Sie setzt einen stilvollen Akzent zum Grün und dunklen Grau der Loungemöbel und den mit platinfarbenem Blattsilber texturierten Wänden. Das Personal ist erstklassig, die Cocktails weltberühmt, und das Connaught steht zum zweiten Mal in Folge an der Spitze der Bestenliste aller Londoner Bars. Ihre Einrichtung besitzt den Hauch der zeitlosen Eleganz und erinnert an die englische und irische kubistische Kunst der Zwanzigerjahre. Ein Ort, an dem ich mich gern aufhalte. Zumal er an den grünen Hyde Park grenzt und sich in Mayfair befindet, einem gehobenem Viertel Londons. Hier wimmelt es von Gourmetrestaurants, eleganten georgianischen Stadthäusern und exklusiven Hotels, Maßschneidern an der Savile Row und hochpreisigen Designerboutiquen in der Bond Street. Ein kleiner Stopp in einer der Boutiquen mit der Dame meiner Wahl, Anprobe bei Champagner und ein anschließender Besuch in Jakes und meiner Lieblingsbar lässt Frauen dahinschmelzen wie Butter im Backofen.
Ich sehe zur Uhr. Zeit für einen Dry Martini. Ich bestelle und beobachte aus dem Augenwinkel, wie Jakes Eroberung ihm einen enttäuschten Blick zuwirft und mit übertriebenem Hüftschwung Richtung Ausgang stöckelt.
»Was ist los?«, will ich wissen und kippe den Rest des Whiskey Sour hinunter.
»Hab sie heimgeschickt. Ihr Parfüm ist widerlich. Zu süß, zu aufdringlich.« Er gibt dem Barkeeper ein Zeichen und kurz darauf stehen zwei Martinis vor uns.
»Trink nicht so viel«, sage ich mit schwerer Zunge. »Du fährst, schon vergessen?«
»Vergessen? Glaubst du doch selbst nicht. Ich fahre heute mit meinem brandneuen, rattenscharfen Bugatti Veyron! Die Lenden vibrieren schon bei dem Gedanken, dir zu zeigen, wie ich satte 1.200 PS in 2,4 Sekunden von 0 auf 100 bringe. Das unterm Arsch zu haben ist besser als die Schenkel einer Frau um die Hüften. Cheers. Rate, was das Baby gekostet hat.«
»Fünfhundert?«
»Bisschen mehr«, sagt er und wirft sich in die Brust. »Eins Komma drei Millionen. Pfund, nicht Dollar.«
»Heftig.« Ich blase die Wangen auf. Jake kann sich ein Auto dieser Klasse und mit dieser Power eigentlich nicht leisten. Er tut es trotzdem. Will mich beeindrucken. Deswegen hat er angeboten, mich mitzunehmen bis zu seinem Haus. Von dort kann ich dann mit meinem Ferrari weiterfahren, den ich bei ihm in der Auffahrt geparkt habe.
»Ich liebe den Touch von Exklusivität, wenn ich aufs Gaspedal trete«, schwärmt er.
»Mhm«, sage ich und merke, wie mir der Alkohol zu Kopf steigt. Kein Wunder nach drei Whiskey Sour, zwei Champagner und einem dry Martini. Oder waren es vier Whiskeys? Egal. Und dass Jake schwankt, liegt wahrscheinlich an meiner Wahrnehmung. Mir ist leicht schwindelig, da kommt es vor, dass sich die Umgebung zu drehen scheint. Trotzdem hake ich nach. »Sag mal, du bist auch nicht mehr ganz nüchtern, oder?«
»Nicht mehr ganz.« Er grinst. »Aber fahren kann ich noch.«
»Na dann.«
Jake macht große Augen, verschluckt sich am Martini und klopft mir hustend auf die Schulter. »Du bist ein echter Freund. Mein einziger, Bro.«
Wir prosten uns zu. »Auf die einzig wahre Männerfreundschaft, Jake.«
Ich habe viele Freunde. So viele, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Adam Slater ist ein gern gesehener Gast auf Empfängen, Charitys und Rooftop-Partys. Die Frauen liegen mir zu Füßen und versuchen, sich gegenseitig auszustechen. Jede Einzelne von ihnen will von mir zum Altar geführt und im Hochzeitskleid für das Titelblatt der The Guardian abgelichtet werden.
Sie sind scharf drauf, die Frau des CEO der Slater Corporation zu werden.
Unser Familienunternehmen ist ein weltweit agierendes Imperium für die Herstellung alkoholischer Getränke und in mehr als 180 Ländern tätig. Unsere Aktien werden an der New York Stock Exchange und der London Stock Exchange gehandelt. Die Hauptabsatzmärkte liegen in Europa und Nordamerika mit einem Jahresumsatz im zweistelligen Milliardenbereich.
Geld ist Macht. Macht ist sexy. Die Frauen stehen drauf.
Eine halbe Stunde und zwei weitere Martini später schwanken wir lachend zum Bugatti und ich lasse mich wie ein nasser Sack auf den Beifahrersitz fallen.
Jake öffnet die Fahrertür und stützt sich ab, steht breitbeinig am Wagen. »Huh, die Frischluft föhnt … Echt. Warte, muss nur … Okay, jetzt gehts wieder. Genieße die Fahrt.«
Kurz darauf drückt er das Gaspedal durch und jauchzt vor Begeisterung wie ein Cowboy auf, als wir fast in die Sitze gedrückt werden, so schnell beschleunigt der Wagen.
Mir ist so schlecht, dass ich das Fenster öffnen muss. Besser auf die Straße als auf die Ledersitze kübeln. Aber noch kann ich den galligen Brei runterschlucken, sobald er hochkommt. Trotzdem freue ich mich für Jake. Der fühlt sich wie der King.
»Wohooo«, stößt er immer wieder aus und ich stimme mit ein. Er fährt raus aus der Stadt und sagt was von kleinem Umweg. Ich winke ab und schließe die Augen. Soll er seinen Spaß haben, ich schlafe eine Runde.
»YEAH!«, schreit Jake plötzlich und ich schrecke hoch.
Wo sind wir? Um uns herum ist es stockduster. Wald? Ja, Wald. Egal. Der Wagen rast durch die Dunkelheit in eine lang gestreckte Kurve, Jakes Augen glänzen.
»Komm, Baby, gib mir alles.«
Unter der Motorhaube befinden sich eintausendzweihundert PS – und die reizt Jake bis zum Letzten aus.

~ Ende der Leseprobe ~

Ich hoffe, der Anfang des Romans hat dir gefallen, und du bist jetzt neugierig, wie es weitergeht.

Deine

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