Leseprobe BE SMART – Liebe braucht kein Casting
von Jo Berger
Liebe? Romantik? Traumjob? Genau mein Ding.
Doch leider läuft gerade alles ein klitzekleines Bisschen aus dem Ruder … denn was ich wirklich gut kann, ist, mein Leben in drei Schritten auf den Kopf zu stellen:
1. Verliere deinen Job (check!)
2. Werde Kellnerin in einem Hipster-Café (auch check!)
3. Lass dich von deiner Freundin zu einem Casting für einen Werbeclip schleppen und direkt in die Arme des smarten CEO Ethan Winter schubsen. (Doppelcheck!)
Gestatten? Ich bin Maja Collins und ich will nicht vor vielen Menschen sprechen. Da bekomme ich hektisches Zwerchfellflattern. Erst recht, wenn dieser schnöselige Anzugträger Ethan Winter mir dabei zusieht. Er ist der Boss und braucht vermutlich eine Wasserwaage für den perfekten Sitz seiner Krawatte.
Der Typ ist für mich das menschliche Äquivalent zum Laufen auf High Heels: total unpraktisch, schmerzhaft … und trotzdem verdammt heiß.
Ausgerechnet er übernimmt die Hauptrolle in meinem persönlichen Gefühlschaos. War ja klar …
Wir sind so gefährlich füreinander wie Feuer und Benzin. Und dummerweise bin ich die Idiotin mit dem Streichholz in der Hand …
Eine freche, romantische Komödie voller Wortgefechte, sprühender Funken und der Erkenntnis, dass manchmal zwei völlig verschiedene Welten genau richtig füreinander sein können.
1
~ MAJA ~
Meine Nerven sind offiziell durchgeschmort!
»Shit! Aua! Auch das noch! Und wo zum Henker ist das verdammte … OARR!«
Hinkend durchkämme ich meine kleine Wohnung auf der Suche nach dem Schatz des verlorenen Handys. Mann! Nicht mal ein Festnetztelefon habe ich, um mich selbst anzurufen. Idee! Ich könnte meiner Freundin Bescheid sagen, dass sie mich anru… Nein, kann ich nicht, habe ja kein Handy!
Wo ist Hirn, wenn man es mal braucht?
»Wo bist du, Mistding? Wegen dir komm ich noch zu spät! Das hat ein Nachspiel, da kannst du aber deinen vorhandenen Restspeicher drauf verwetten, sag ich dir!«
Nicht im Bett, auch nicht daneben auf dem Boden, nicht auf dem Nachttisch, nicht in der Küche, nicht auf dem Wohnzimmertisch. Meine Emotionskontrolle hat schon mal den Mustang gesattelt und reitet irre kichernd dem Sonnenuntergang entgegen.
Ich bleibe stehen. Was habe ich gestern zuletzt gemacht? Zähne geputzt.
Badezimmer, ich komme!
Ha! Da ist es ja. Auf der Ablage neben dem Klo.
Nach einer Dusche und zwei Kaffee – stark, schwarz, süß – mache ich mich gestärkt auf den Weg ins Café Fosters.
Möge der Drive mit mir sein.
»Ist mit dir alles okay?« Ellie hört auf, ihr Lied zu summen, und schiebt ihr Gesicht in mein Blickfeld. In ihrer Mimik steht die Sorge um mein Wohlbefinden. »Du siehst aus, als wärst du beim Aufstehen auf ne Haarbürste getreten.«
»Fast. Bin auf dem Weg in die Küche über die Teppichkante gestolpert und mit dem Oberschenkel an der Kommodenecke hängen geblieben. Aber sonst ist alles super. Megasuper. Fast schon unerträglich super.«
Das war glatt gelogen. Ich schraube mir ein halbherziges Lächeln ins Gesicht und stelle den frisch gebrühten Espresso auf ein Tablett. »Schöner Song übrigens. Lady Gaga?«
»Ja. Zusammen mit Bruno Mars. Die With A Smile. Ich kann nicht genug davon bekommen.«
»Ist nett.«
Die With A Smile? Klingt erstrebenswert.
Gestatten, ich bin Maja Collins, neunundzwanzig Jahre alt und gescheiterte Event-Managerin. Dass ich mal als Bedientier in Brighton lande, hätte ich mir nicht mal bis Oberkante Unterlippe im Moor steckend erträumt.
Es kommt ja immer anders …
Wo war ich? Ach ja, Teppichkante. Ich seufze. Im Gegensatz zu mir ist Ellie das pure, mineralwasserpralle Leben, immer gut gelaunt und stets mit einem ermutigenden Spruch auf den Lippen.
Ellie ist meine Chefin mit dem klangvollen Namen Eleanor Foster und Inhaberin des »Fosters«, einem schnuckeligen Café ganz in der Nähe vom Brighton Pier. Und ich kann ihr einfach nichts vormachen. Sie liest in Gesichtern der Menschen wie andere in einem Buch. Und sie hat ein Lächeln, das Türen öffnet. Heute trägt sie nicht nur permanent diesen Lovesong auf den Lippen, auch ein mintgrünes, geblümtes Sommerkleid mit cremefarbener Strickjacke darüber. Und sie hat die Haare offen. Schöne, dicke, dunkelbraune Haare mit dezenten warmen Highlights. Sie fallen in weichen Wellen bis über ihre Schultern und lassen sie jung wirken. Meine Haare sind ebenfalls wellig, aber wenn ich sie offen trage, sehe ich aus wie ein unausgeschlafenes Frettchen, das aus dem modrigen Gebälk eines Dachstuhles gefallen ist.
»Tut er weh, der blaue Fleck?« Da ist es, dieses Lächeln. Ich kann kaum glauben, dass Ellie schon über sechzig Jahre ist.
»Geht so.« Ich setze mein Pokerface auf. Funktioniert nicht. Funktioniert eigentlich nie. Das müsste ich mittlerweile gelernt haben. »Ja, okay, guck mich nicht so an, Ellie. Ich hadere mal wieder. Das Übliche: Wo komm ich her, wo geh ich hin, wer bin ich und was zur glühenden Hölle tu ich hier eigentlich?«
»Nun, für den Anfang hilft vielleicht das Wissen, dass es manchmal reicht, wenn man weiß, was man nicht will. Der Rest kommt mit der Zeit. Hab einfach Vertrauen. In der Regel kommt alles so, wie du es brauchst.« Sie deutet auf den Espresso. »Und den hier solltest du an Tisch zwei bringen, bevor er kalt wird. Und ich verschwinde in die Küche. Du kommst klar?«
»Klar.«
Wie ich es brauche? Wie wäre es mit einem gut bezahlten Job in meinem Beruf – oder einem Mann? Nein, nicht oder. Und. Und einem Mann. Und zwar ein liebevoller, zärtlicher, mit einem Herz so groß wie ein Vulkankrater und mit Augen, die mich anhimmeln, als wäre ich das Wunderbarste auf dieser Welt. Ein sanfter Mann und doch gleichzeitig so männlich, dass ihm das Testosteron aus jeder Pore quillt.
Herrje, ich bin an diesem Morgen echt noch nicht richtig wach. Vielleicht hätte ich gestern nicht bis in die Puppen mit Sandy quasseln sollen.
Ich bringe den Espresso zu der blonden Frau an Tisch zwei, schenke ihr ein sonniges Lächeln – okay, mit ein paar Wölkchen gewürzt – und wünsche ihr einen wundervollen Guten Morgen.
Positiv denken, sage ich mir in Gedanken. Ich sollte froh sein, überhaupt einen Job gefunden zu haben.
Was wollte ich gerade tun? Ah ja, Milch aufschäumen, aber nur feinporig. Nicht so fest wie bei einem Cappuccino.
Ich mag das Fosters mit seinen bunt zusammengewürfelten Möbeln im Vintage-Style, bunten Kissen und gerahmten Fotografien von Brighton aus vergangenen Zeiten an den Wänden, die die Geschichte Brightons erzählen. Aktuell sind auch Bilder von Kunstwerken lokaler Künstler vertreten, weil Ellie Wert drauf legt, unbekannten Talenten eine Plattform zu bieten. Mein Blick schweift über die Regale mit alten Büchern und Vintage-Teekannen und aus der Küche strömt der Duft von frisch gebackenem Kuchen.
Das Café ist um diese frühe Zeit schon recht voll. Weniger mit Touristen, eher mit Menschen, die hier frühstücken oder sich einen Coffee-to-go für den Weg ins Büro holen.
Ja, genau genommen hätte ich es schlimmer treffen können, als in diesem putzigen Café zu arbeiten. Als ich von London hierher gezogen bin, ist mir gleich am nächsten Tag das Schild im Fenster entgegengesprungen: Kellnerin gesucht. Ein Glücksfall.
In den ersten Wochen habe ich bei Sandy gewohnt, bis ich eine eigene Wohnung gefunden habe. Seitdem hat sich nicht viel geändert. Außer, dass ich nun kellnere und zweifle, ob das jetzt ein Fortschritt ist oder nicht.
Also, stell dich nicht so an, Maja. Echt jetzt. Möglichkeiten bieten sich überall. Kommt Zeit, kommt Chance.
Trotzdem, heute ist so ein Tag, an dem sich in meinem Kopf das altbekannte Karussell dreht. Ging schon beim Aufwachen los. Dabei möchte ich wirklich, wirklich, wirklich nicht an meinen letzten Job denken. Eine Hochzeit – und ein fulminanter Reinfall. Für mich. Okay, für das Brautpaar auch. Aber wer rechnet schon damit, dass die romantisch aufsteigenden Tauben das Hochzeitskleid vollkacken?
Tja, der cholerische Chef der Agentur hat ein bisschen verschnupft reagiert und mir gekündigt. Darauf hat der Drecksack nur gewartet, ich schwöre! Tja, und Sandy, meine Freundin, hat die Gelegenheit ergriffen und mir vorgeschlagen, ich solle doch zu ihr nach Brighton ziehen.
Und da bin ich nun. Why not? Einfach machen, nicht lang nachdenken. Vielleicht wird’s ja gut?
Immerhin ist es Sommer, ich lebe in einer beliebten Küstenstadt und bis auf den blauen Fleck am Oberschenkel kann ich mich nicht beschweren. In Brighton steppt der Bär, und früher oder später werde ich finden, was ich suche. Oder brauche.
Ob allerdings dieses elende Casting für einen Werbespot mein Sprungbrett zur Karriereleiter sein kann, bezweifle ich stark. Aber Sandy hat nicht lockergelassen. Sie ist davon überzeugt, dass ich das perfekte Gesicht dieser Zahnpastawerbung sei. Sogar Ellie meinte, ich solle es mir wenigstens anschauen, was hätte ich schon zu verlieren? Das mit den Arbeitszeiten jonglieren wir dann schon.
Ach Ellie, die Welt bräuchte mehr Menschen wie dich.
»Maja! Tisch vier wartet auf seinen Flat White!«, raunt mir Roger zu.
»Schon fertig. Hier.« Ich lege einen Keks dazu und schiebe ihm die Tasse über die Theke. Er grummelt ein Danke, ich muss grinsen.
Roger ist der Kellner mit der schlechtesten Laune im Umkreis von zehn Meilen. Aber nur morgens und niemals so, dass es die Gäste mitbekommen. Er kann sogar einigermaßen charmant lächeln und sieht für seine sechsundfünfzig Jahre wirklich gut aus. Ein bisschen arg groß ist er und schlaksig. Roger trägt immer bunte, aber zu enge Hemden und schwarze Hosen. Sehr akkurat, fast schon geschniegelt. Bis auf seine Haare. Die wirken stets zerzaust, als hätte er den Kampf gegen den Föhn verloren. Daran sind die Wirbel schuld, hat er von seinem Vater, sagt er.
Ich sehe auf die Uhr. Mist. Ich will nicht zu diesem Casting. Das ist nichts für mich. Nein, ist es nicht! Auch wenn ich, wie Sandy sagt, das perfekte Zahnpastalächeln habe. Habe ich nicht! Meine zwei Vorderzähne sind ein kleines Stück länger als die anderen Zähne und auf meinem Gesicht versammeln sich die Sommersprossen mit steigender Sonneneinstrahlung zu einem Massenevent. Täglich kommt eine hinzu. Meine Versuche, sie zu bekämpfen und die Fortpflanzung zu stoppen – sei es mit Zitronensaft, Retinol, Anti-Pigment-Pasta oder Lichtschutzfaktor Drölfhundert –, bewirken lediglich, dass sie Verstärkung holen.
»Huch!?« Ich zucke zur Seite. Jemand hat eine Hand auf meine Schulter gelegt. »Ach, du bist es. Mensch, Ellie, ich hab mich echt erschreckt.«
»Ja, wenn man so in Gedanken ist … Musst du nicht los?«, sagt sie mit weichem Blick und zeigt zur Uhr an der Wand.
»Ja, schon …« Ich zucke mit den Schultern.
»Maja, ich weiß, dass du dir unsicher bist, aber so ein Casting ist doch superspannend, oder? Außerdem klingt es nach einer Chance. Vielleicht wird’s ja eine dauerhafte Geldquelle. Man weiß nie, was hinter Türen steckt, die sich zum ersten Mal öffnen. Komm schon, Kleines. Ich bestehe darauf, dass du wenigstens einen Versuch startest. Und wenn es nur eine einmalige Sache sein sollte, hast du eine Erfahrung mehr und dazu vielleicht deinen Spaß gehabt.«
»Bezweifle ich stark«, erwidere ich missmutig. »So eine Erfahrung brauche ich nicht wirklich.« Die Vorstellung, vor vielen Menschen zu stehen und ein Sprüchlein aufzusagen, schnürt mir jetzt schon die Kehle zusammen.
Ellie lacht und ihre Augen blitzen amüsiert. »Wer weiß schon, was er braucht, während er sucht, was er unbedingt will? Du schaffst das, meine Liebe. Also, los mit dir. Husch! Im Übrigen gibt es keine Zufälle.« Sie wedelt mit der Hand in meine Richtung, als wolle sie eine Fliege vertreiben, und der Schalk steht ihr im Gesicht.
»Gleich nach den zwei Latte und dem Cappu.«
»Aber dann machst du dich vom Acker.« Damit verschwindet sie in der Küche.
»Zufälle? Wieso gibt es die nicht?«, rufe ich ihr hinterher. Sie dreht sich in der Tür um und zwinkert mir lächelnd zu.
»Blödsinn. Zufall ist Zufall. Sagt schon das Wort. Es fällt einem was zu. Fertig«, murmle ich.
»Es fällt einem zu, was fällig ist«, ruft Ellie aus der Küche.
Himmel, hat die Frau ein Gehör.
»Wird das heute noch was?« Roger steht fingertrommelnd an der Theke, ich lächle ihn an. Entwaffnend, wie ich meine, denn er gibt mir so etwas Ähnliches wie ein Lächeln zurück. Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Seltsamer Tag heute.
»Kann es sein, dass du Zahnweh hast, oder verziehst du im Versuch, freundlich zu mir zu sein, nur das Gesicht?« Ich stelle ihm die Getränke aufs Tablett.
»Scherzkeks. Danke.«
»Kein Ding, gern geschehen. Jederzeit wieder.«
Ich sehe ihm hinterher, wie er mit dem Tablett auf den Tisch zusteuert, da betritt ein Mann das Café, den ich hier noch nie gesehen habe.
Groß, dunkelhaarig, Anzug, weißes Hemd, Krawatte, Aktentasche aus feinem Leder. Oha, Schnöselalarm! Ich sehe genauer hin. Nicht mein Typ, obwohl ich zugeben muss, dass er ziemlich attraktiv ist mit seinen dunkelblonden, wenn auch etwas zu ordentlich frisierten Haaren. Sein Gang gefällt mir.
Ist das nicht komisch, wie Kleinigkeiten entweder faszinieren oder abtörnen? Letztes Jahr hatte ich ein Date mit einem Hingucker, den ich an der Kinokasse kennengelernt hatte. Die Art von Mann, die es schafft, mir mit einem Lächeln bereits den Slip auszuziehen. Leider hat er beim Essen nur von sich geredet und dabei jedes seiner Worte mit der Gabel begleitet wie ein Dirigent. Später hat der Zeigefinger die Gabel ersetzt. Da war bei mir Schicht im Schacht.
»Entschuldigung, ich hätte gern einen schwarzen Kaffee. Ohne alles«, spricht mich Mister Interessant an. Wie er wohl die Gabel hält?
Schöne Augen hat er. Blau? Ja, megablau sogar. Und er besitzt ein markantes Kinn, leider babyglatt rasiert. Schöne Lippen. Können die auch lächeln?
Seine Stimme klingt warm, aber er redet in einem Ton, als wäre er es gewohnt, dass man sofort springt. Der ist Chef, ganz klar.
»Selbstverständlich. Schwarz ohne alles. Kommt sofort«, flöte ich freundlich und vielleicht etwas zu süßlich. Bestimmt steht mir das Wort Schnösel breit auf der Stirn geschrieben. Am Pokerface arbeite ich noch.
Er hebt eine Augenbraue. »Und bitte heiß!«
»Sehr wohl der Herr.« Ich deute einen Knicks an. Aha, er ist arrogant. Schade eigentlich. »Kaffee, doppelt heiß und nicht auf Eis. Soll ich ihn mit einem Gasbrenner zusätzlich anfeuern? Nicht? Wie Sie möchten, Ihr Wunsch ist mir Befehl.«
Seine linke Augenbraue gesellt sich zur anderen, dann sucht er sich einen freien Tisch.
Na, der geht auch zum Lachen in den Keller. Hat mich angesehen, als hätte ich nicht mehr alle Haken an der Garderobe.
Womit er nicht ganz unrecht hat. Das Leben ist ernst genug, finde ich. Nicht, dass ich durchgeknallt wäre, ich mag es nur, wenn Menschen lächeln. Okay, das könnte ich auch freundlicher hinbekommen. Aber was soll ich sagen? Meine Hirn-Mund-Schranke klemmt immer und steht sperrangelweit offen. Ob ich das in diesem Leben noch auf die Reihe kriege?
Roger tritt zu mir. »Tisch sieben wartet auf den Cappuccino.«
»Gleich fertig. Wo ist eigentlich der Gasbrenner?«
»Der was?«
»Scherz. Insider. Vergiss es.«
Während ich Cappuccino und Kaffee ohne alles, aber heiß richte, linse ich zu diesem Snob. Immer wieder checkt er sein Handy und blickt zwischendurch auf die Uhr an der Wand. Gerade so, als würde er innerlich eine Kosten-Nutzen-Analyse für seine vertane Zeit im Café aufstellen.
Oder er hat eben einen Termin. Ich sollte nicht so schnell urteilen. Trotzdem …
»Kaffee ohne alles, aber heiß …«, nuschele ich und sehe zu, wie die schwarze, wohlriechende Brühe in die Tasse tröpfelt. Ich könnte jetzt auch einen vertragen, aber das wäre dann der sechste heute.
»Kaffee ohne alles, aber heiß?«, fragt Roger.
»Ja, der Anzugträger da drüben. Als ob hier kalter Kaffee serviert würde.«
»Gibt auch Eiskaffee.« Er nimmt die Tasse entgegen und stellt sie auf sein Tablett.
»Hat er aber nicht bestellt. Nur explizit erwähnt, dass der Kaffee heiß sein soll.«
»Ist der ein Idiot?«, fragt er und runzelt die Stirn.
»Kann schon sein. So, jetzt muss ich los in die verlängerte Mittagspause.«
Blödes Casting. Ich würde viel lieber auf einer Bank an der Promenade in der Sonne sitzen, die Füße baumeln lassen und einen Burrito essen.
Blick zum Fenster. Sandy wartet. Wie immer ist sie pünktlich wie die Maurer.
Meine Freundin winkt mir zu und tippt auf ihre Uhr. Ich hebe drei Finger und nicke, was so viel heißt wie: Gib mir drei Minuten.
Sie hat ihre Drohung in der Nachricht von heute Morgen wahr gemacht. Sie würde mich abholen, um sicherzustellen, dass ich tatsächlich zum Casting gehe, und keinen Zweifel daran gelassen, dass sie mich notfalls selbst hinbringen wird. Gefesselt und geknebelt, wenns sein muss. Drei Ausrufezeichen.
Unwillkürlich muss ich grinsen. Sandy ist mein leuchtender Farbtupfer in dieser Welt. Ich bin mir sicher, auch für die Kunden in ihrem Friseurladen. Und heute sind bestimmt schon mindestens zwei unschuldige Passanten dank ihres Outfits geblendet ins Stolpern geraten.
Ihre strahlend grünen Augen scheinen förmlich zu sagen: »Ja, ich weiß, ich sehe großartig aus.«
Hachz, ein Königreich für dieses Selbstbewusstsein … Aber sie sieht wirklich mega aus, auch wenn sie den Umstand bejammert, dass ihre 1,65 Meter nicht für eine Modelkarriere reichen.
Ich beneide meine Freundin um ihre hellblonden Haare, die ihr lang und glatt über die Schultern fast bis zur Taille fallen. Wie immer ist sie bunt eingepackt. Knallpinkes T-Shirt, verziert mit einem glitzernden Totenkopf, der von Schmetterlingen umschwärmt wird, löchrige Used-Look-Jeans mit unzähligen farbigen Patches und dazu Glitzer-Chucks. Ihre Ohrringe sind groß genug, um eine komplette Lichtshow zu reflektieren, und ich weiß, dass sie morgens ewig braucht, bis sie alle silbernen Armreife angezogen hat. Es sind bestimmt zehn Stück pro Handgelenk. An jedem Finger trägt sie mindestens einen Ring, alle funkelnd, alle auffällig, manche so groß, dass sie als Schlagring durchgehen würden. Muss man mögen und der Typ dafür sein. Ich würde mit diesen Ringen und Armbändern überall hängen bleiben. Ich sag nur: Teppichkante.
Feierabend!
Ich verabschiede mich von Ellie und Roger und trete durch die Tür ins Freie. Warme Sommerluft strömt mir entgegen, angefüllt mit dem herrlichen Duft von Meer.
»Sandy, wenn das mit diesem Casting in einer Katastrophe endet, dann …«
»Katastrophen sind doch dein Ding, oder? Das steckst du mit links weg. Aber es gibt keine.«
»Hat dir das deine Glaskugel gesagt? Egal. Komm, gehen wir, ich hab nächste Woche noch einen Fußpflegetermin.«
Ich blicke über die Schulter ins Café. Nanu? Legt der Büroschnösel sich mit Roger an? Diskutieren sie über den Unterschied zwischen heißem und perfekt heißem Kaffee?
»Hey, kommst du jetzt?« Sandy zupft mich am Ärmel. »Was ist denn so interessant im Fosters? Ein Mann etwa?«
Ich lache auf. »Schön wär’s.«
Sie zieht mich weiter. »Los jetzt, Maja. Sei keine Memme.«
»Schon gut. Andere Richtung. Mein Wagen steht …«
»Nix da! Ich fahre! Nicht, dass du noch auf die letzten Meter kneifst.«
Kurz darauf sitzen wir in ihrem Auto und ich blinzele gegen die Sonne. In der Ferne sehe ich das Meer glitzern. Brighton hat was von Urlaub. Und ich fühle mich hier wohler als in London.
»Oha? Du siehst ja fast zufrieden aus«, reißt Sandy mich aus meinen Gedanken.
»Ich habe nur gegen die Sonne geblinzelt.«
»Ja, klar. Hey, mach dir keinen Kopf, okay? Du wirst Spaß haben, ganz sicher. Und im Prinzip ist das keine große Sache.«
»Für dich ist nichts eine große Sache«, erwidere ich lachend.
»So sieht’s aus.« Sie nimmt eine scharfe Kurve. »Du musst nur ein paar Worte ablesen und dein breites Lächeln zeigen.«
»Da sind Menschen, viele Menschen. Ich kann das nicht!«
»Hör auf zu jammern. Du hast auch gesagt, dass du nicht aus deinem geliebten London wegkannst, weil dies und das und jenes. So ist es hier auch. Süße …« Sie streicht mir kurz über die Wange. »Sieh es nicht als Problem, sondern als Herausforderung. Und vielleicht wird’s ja ganz lustig.«
»Du hörst dich an wie Ellie.«
»Danke für das Kompliment. Und noch mal: Zeig dein Lächeln, sei einfach, wie du bist, und boom, bist du der neue Star am Werbehimmel.«
»Ja, klar, und danach mach ich mich mit einer Million Followern als Influencerin selbstständig. Das bin ich nicht.«
»Kannst du nicht wissen, wenn du es nicht probiert hast.«
»Na dann …«
Gott, was tue ich mir da nur an? Ich blase die Backen auf und sehe wieder aus dem Seitenfenster, beobachte die vorbeiziehenden Häuser, die typischen viktorianischen Fassaden Brightons mit ihren bunten Türen und den sorgfältig gepflegten Vorgärten. Sandy laviert ihren knallroten Mini durch die engen Gassen und schnippt dabei mit den Fingern zu einem rhythmischen, basslastigen Song im Radio.
In meinem Kopf taucht das Bild von diesem Anzugträger auf. Der checkt seine Krawatte wahrscheinlich mit der Wasserwaage auf korrekten Sitz. Der Typ ist die Verkörperung von Selbstdisziplin, Correctness – und Langweile. Vielleicht hätte ich mir von ihm den Schnöselschlips ausleihen sollen – für den Fall, dass das Casting auf Anzugniveau abläuft.
»So, wir sind da! Kann losgehen. Maja, noch mal: Sei einfach du selbst. Mit deinem Humor und deinem Lachen wickelst du jeden um den Finger. Glaub an dich.« Sandy steuert in eine Parklücke, ich atme tief durch. »Bereit?«
»Nein.« Ich steige aus, schultere meine Handtasche – der Henkel rutscht –, lege den Kopf in den Nacken und blicke hinauf an der in der Sonne glänzenden Fensterfassade des Bürogebäudes. Beeindruckend.
Sandy boxt mir leicht auf den Arm. »Du packst das, Maja. Heute Abend gehen wir was trinken und kleppern Alkohol drüber.«
»Prima Idee. Und logisch packe ich das. Wer, wenn nicht ich?«, erwidere ich halbherzig.
»Das ist die richtige Einstellung, Freundin. Du musst nur noch selbst dran glauben. Oh, warte.« Sie zieht mir das Gummi aus den Haaren und fährt mir mit allen zehn Fingern durch die Wellen. »Perfekt. Und jetzt ab mit dir.«
2
~ ETHAN ~
»So, Mr Winter, Ihre Zähne sind in Ordnung, da gibt es nichts zu beanstanden.« Damit entlässt mich mein Zahnarzt wieder in die Freiheit und reißt mich aus den Gedanken an die schlagfertige und recht hübsche Kellnerin im Fosters.
Als hätte ich jemals Kaffee auf Eis serviert.
Ihr leichter Sarkasmus und ihr Blick hatten mich seltsamerweise irritiert. Eine Unlogik in einer Berechnung irritiert mich, ja. Ein Ereignis, das meine Termine in Unordnung bringt, auch. Aber eine Frau, eine Kellnerin mit chaotisch angeordneten Sommersprossen im Gesicht? Nein, das passiert mir in der Regel nicht.
»Wunderbar. Das ging schnell heute. Perfekt.« Ich bedanke mich und verlasse die Praxis. Somit wäre die halbjährliche Kontrolluntersuchung und die Zahnreinigung erledigt. Solche Termine sind mir wichtig, dafür nehme ich mir auch gern einen halben Tag Urlaub.
Ich trete ins Sonnenlicht und steuere den Herrenfriseur an. Der letzte private Termin heute. Danach werde ich mich um die neue Kampagne kümmern.
Brighton pulsiert, wie immer im Sommer. Dieser Ort ist für mich sowohl ein enormer Karriereschritt als auch ein Ort, der mich an meine Kindheit erinnert. Wie praktisch, dass der Konzern seinen Hauptsitz von London hierher verlegt hat. So bin ich näher an der nächsten Stufe nach oben – dem Posten als Deputy CEO – und an meinen Eltern. In Brighton bin ich geboren und aufgewachsen. Hier kenne ich jeden Stein. Viel zu lange bin ich nicht mehr hier gewesen. Leider hatte ich bisher nicht wirklich Zeit, das unvergleichliche Flair Brightons zu genießen, geschweige denn, ans Meer zu gehen. Sobald die Kampagne erste Erfolge aufzeigt, werde ich mir ein oder zwei Tage freinehmen. Vielleicht hänge ich sie sogar ans Wochenende? Mal sehen.
Dad meint, ich arbeite zu viel. Was weiß er schon? Schließlich stehe ich als Chef der Marketingabteilung unter immensem Druck, die neue Werbestrategie zu einem Erfolg zu führen. Mit ihr will der Konzern zu einem jüngeren, moderneren Image wechseln. Und ganz nebenbei hat mir mein Boss unmissverständlich klargemacht, dass ein Scheitern ausgeschlossen ist, wenn ich meinen Job behalten und zum CEO der Firma aufsteigen will.
Nicht mal Zeit für eine Frau habe ich. Und das wäre ehrlich gesagt längst fällig. Meine letzte festere Beziehung ist schon eine Weile her und war zum Glück nichts Tiefergehendes gewesen. Und dass ich einmal kurz davor gewesen war, mich zu verloben, ist gefühlte Ewigkeiten her. Am Ende bin ich heilfroh über die Trennung gewesen. Es wäre nicht gut gegangen, wir waren zu verschieden.
Sie hatte wenig Verständnis für meine Art zu leben und war der Meinung, dass ich mehr ausgehen und mehr Spaß haben sollte. Außerdem war sie unordentlich und hat nicht nur äußerlich Durcheinander in mein wohlsortiertes Dasein gebracht. Lebenslust wäre wichtiger als Perfektion und Planung, meinte sie. Diese Ansicht vertreten auch meine Eltern. Sollen sie. Ich fühle mich wohl, so wie es ist. Bis auf die Tatsache, dass ich es leid bin, in einer gewissen Sache immer selbst Hand anzulegen.
Gegen den Klatsch und Tratsch jedoch ist leider kein Kraut gewachsen. Letzte Woche im Büro hat mich meine Sekretärin gefragt, ob ich mich nicht einsam fühle.
Nein, ich fühle mich nicht einsam, zur Hölle! Im Gegenteil. Ich kann in meinen vier Wänden tun und lassen, was ich will und wann ich es will, muss mich nach niemandem richten und auf niemanden Rücksicht nehmen. Einsam … Absurd! Vielleicht sollte ich mir einen oder zwei One-Night-Stands gönnen? Aber nicht in Brighton, man würde sich eventuell über den Weg laufen. Und erst nach Beendigung des aktuellen Projektes.
Mein Handy gibt mehrere Töne von sich. Ich ziehe das Gerät aus der Anzugtasche und sehe aufs Display.
Leo. Natürlich. Wer sonst würde es wagen, mich in meiner freien Zeit anzurufen? Ich nehme das Gespräch entgegen, zugegeben etwas unruhig. Es wird doch nichts schiefgegangen sein?
»Carter, ich hoffe, es ist wichtig.«
Am anderen Ende höre ich die vertraute Hektik in seiner Stimme. Er klingt aufgeregt und leicht genervt. Leo Carter ist der Regisseur des Werbespots. Die Leidenschaft für seinen Beruf und seine kreative Energie sind bewundernswert, doch seine Tendenz zum Drama macht jeden Anruf zu einem Abenteuer. Leo ist anstrengend, seine Gesten oft übertrieben, und er hat eine Vorliebe für emotionale Reden und Appelle. Aber er ist eben der Beste auf seinem Gebiet.
»Wichtig? Ethan, das Casting ist ein Desaster! Ein Desaster, sag ich dir! Wir haben hier einen Stall voller Bewerber, die so viel Esprit besitzen wie zähflüssiges Harz bei Minustemperaturen. Aber dann …« Er legt eine dramatische Pause ein, um die Spannung zu steigern. Kenne ich schon aus vergangenen Unterhaltungen.
»Was dann?« Ich reibe mir den Nacken und bereue, dass ich den Anruf angenommen habe. Andererseits benötigt die Kampagne meine volle Aufmerksamkeit.
»Dann kam sie!«
»Leo, komm zur Sache!«
»Ist ja gut. Ich weiß, ich weiß, du willst gleich die Fakten. Also mit sie meine ich eine Frau, eine der Bewerberinnen. Die Perle unter all dem Harz, der hier rumlümmelt und …«
»LEO!«
»Schon gut, schon gut. Wir haben sie gefunden. Also es. Das Gesicht von Dentivive. Sie ist anders. Authentisch, bissig, frech, ehrlich, witzig. Die Frau ist eine Wucht!« Leos Stimme überschlägt sich fast vor Begeisterung. »Ethan, die Frau hat das Skript genommen und es in Stücke gerissen – metaphorisch gesprochen. Du musst sie dir ansehen. Außerdem brauchen wir dein Go.«
»Frech und witzig? Klingt nicht nach einer Wucht. Leo, hol mal Luft, ja? Wir reden von Zahnpastawerbung, nicht von einer Comedy-Show.« Meine Schritte stocken kurz vor dem Friseur. Ich trete zur Seite und lasse Passanten an mir vorbeigehen.
»Genau das ist ja der Irrtum. Verstehst du? Sie hat etwas, Ethan. Einen Funken. Genau den brauchen wir für das jüngere Image. Genau das! Genau sie!«
»Wird durch Wiederholung nicht überzeugender«, maule ich. »Und ich bezweifle stark, dass ich mich irre. Bitte halte dich an die Zielvorgaben.«
»Du und deine Vorgaben! Sieh sie dir an, Ethan. Komm her und überzeuge dich selbst.« Im Hintergrund höre ich eine Geräuschmelange aus Stimmen und Lachen. Zahnpasta ist notwendig, nicht lustig. Ich denke, ich muss ein Machtwort sprechen.
»Okay, wie du meinst.« Ich beende das Gespräch mit einem knappen »Ich bin unterwegs«.
Missmutig betrete ich das Friseurgeschäft und sage meinen Termin ab.
Als ich den langen Flur zum Studio betrete, sehe ich kurz in den Raum hinein, in dem die Bewerber auf ihren Einsatz warten. Sofort schlägt mir eine gestresste Atmosphäre entgegen. Etwa zwei Handvoll Personen haben sich auf die wenigen Stühle verteilt, stehen an den Wänden oder sitzen auf dem Boden. Sie studieren das Skript und murmeln den Slogan vor sich hin. Ich grüße sie mit einem Nicken und schließe die Tür wieder.
Kaum betrete ich das Studio, zieht eine Stimme meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie kommt mir bekannt vor, habe sie gerade heute Morgen gehört.
Du lieber Himmel, bitte nicht! Nicht sie!
Nicht die sarkastische Sommersprosse aus dem Café.
Die rotbraunen Haare fallen ihr in ungebändigten Wellen auf die Schultern. Ihr Lächeln ist zugegebenermaßen charmant und einnehmend, dennoch strahlt sie für mein Empfinden absolute Unprofessionalität aus.
Neben ihr steht Leo, in seiner Mimik pure Euphorie.
Als er mich sieht, trippelt er mit seinen kurzen Beinen auf mich zu.
»Ethan! Da bist du ja endlich!« Er fährt sich mit einer Hand durch die straßenköterbraunen Haare, die in alle Richtungen wild abstehen, weil er sie immer mit den Fingern durchpflügt, wenn er aufgeregt ist. Und das ist er oft. Jetzt deutet er zur Sommersprosse. »Das ist Maja Collins. Sie ist ein Naturtalent!«
Maja mustert mich überrascht und leicht amüsiert, fast so, als hätte sie Spaß daran, meine Reaktion zu sehen. Und ich stolpere unerwartet in den Sog ihrer grünen Augen und habe alle Mühe, mich möglichst schnell wieder zu stabilisieren. Eine kleine unvorhersehbare Zwischeneinlage des männlichen Egos. Nichts weiter. Kommt vor.
Mit einem äußerst sympathischen Lächeln und kokettem Hüftschwung wendet sie sich ab und redet mit unserem Praktikanten Tim, der heute beim Casting dabei sein darf – und Kaffee kocht. Himmel, die Frau hat eine atemberaubende Figur. Dass mir das im Café nicht schon aufgefallen ist? Wohlproportioniert, ein bisschen kurvig. Sexy. Und ihre Brüste hatten nicht nur die perfekte Größe, zwei Hände voll, sondern auch die perfekte Form.
Dann will ich mir sie mal genau ansehen.
Mit wenigen Schritten bin ich bei ihr, doch Leo ist schneller. Wie ein Wiesel spurtet er an mir vorbei.
»Maja, darf ich vorstellen? Das ist unser Marketing-Guru Ethan Winter. Meister der Werbestrategien und Kreativgenie. Ethan, das ist Maja Collins.«
Wir schütteln uns kurz die Hand. »Angenehm, Frau Collins. Wir sind uns ja schon begegnet. Ich bin gespannt, wie Sie unsere Dentivive in Szene setzen.« Ich ringe mir ein Lächeln ab. Attraktive Frau, aber definitiv nicht geeignet für das Werbevideo. Egal, was Leo sagt.
»Oh, Sie schon wieder? Ist ja interessant. Nennen Sie mich Maja, bitte. War der Kaffee heiß genug? Ich hoffe doch«, antwortet sie mit einem Schmunzeln. »Tja, wer hätte gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen. Dentivive ist diese Zahncreme, vermute ich. Cooler Name. Aber Guru?« Sie legt den Kopf schief und verengt die Lider. »Sie wirken eher wie einer, der eine Excel-Tabelle mit den verschiedenen Weißnuancen von Zahnpasta führt.«
War das ein unterschwelliger Angriff oder ein Kompliment? Schwer zu sagen, aber ihre Zunge ist scharf wie eine Rasierklinge. Hoffentlich hält sie die während der Probeaufnahme im Zaum.
»Gute Beobachtungsgabe«, antworte ich und setze ein höfliches Lächeln auf. Damit nehme ich ihr den Wind aus den Segeln. »Da mögen Sie recht haben, Maja. Und ich sehe eine Person, die das Konzept der Kampagne nicht vollständig umreißt.«
Leo lacht auf und klatscht in die Hände. »Wunderbar, ihr versteht euch. Können wir? Maja, bitte auf die Kulisse.«
Verstehen ist leicht übertrieben, will ich meinen. Diese Maja ist ungeeignet. Leo wird es schon noch merken. Aber gut, ich gönne ihm den Spaß. Und mir auch.
Miss Collins betritt etwas unsicher die Badezimmerkulisse und Leo meint, er müsste mich mit einem Wortschwall von Maja überzeugen. Schließlich endet er mit dem Satz: »Gib ihr eine Chance.«
»Ja, genau«, höre ich Tim hinter mir sagen. »Das sollte er tun.«
Ich blicke mich um und sehe einige nickende Köpfe. Miss Collins nickt nicht, dafür zieht eine leichte Röte über ihre Wangen.
Hier ist es aber auch verdammt warm. Ich lockere meine Krawatte und widerstehe dem Drang, mein Jackett auszuziehen. Muss ich mir das zu erwartende Fiasko mit der Kellnerin ansehen? Nein. Ich habe sie kennengelernt, eintaxiert und für ungeeignet befunden. Meine Erfahrung in dieser Hinsicht hat mich noch nie im Stich gelassen.
Dies teile ich Leo mit, lege jedoch Wert darauf, ihn nicht vor den Kopf zu stoßen. Schließlich sind unsere Ansichten bezüglich dieser Bewerbungen absolut konträr.
»Ich vertraue auf deine Einschätzung, Leo. Aber halte dich an die Vorgaben.« Und zu der Collins gewandt: »Dann zeigen Sie mal, was Sie draufhaben, Miss Collins. Viel Glück.«
Sie verschränkt die Arme vor der Brust. »Natürlich nicht. Nennen wir es doch einfach kreative Freiheit?«
Mein Blick ruht einen Moment lang auf ihr, dann nicke ich und steuere den Ausgang an.
»Ethan, du wirst deine Meinung noch ändern, sag ich dir!«, ruft Leo mir hinterher. Leo ist überzeugt, ich nicht. Seine Begeisterung allerdings ist ansteckend.
Was hat sie gesagt? Typ für Excel-Tabellen? Frechheit! Und doch irgendwie zutreffend.
Auf dem Weg zur Lobby versuche ich, das Aroma dieser Maja Collins aus meiner Nase zu bekommen. Ihr Duft ist sehr angenehm gewesen. Wahrscheinlich durch kein Parfum verfälscht. Ich hasse ein Zuviel davon an Frauen. Die Sinneserfassung durch die Nase ist mir wichtig und mehrere Erfahrungen haben mir gezeigt: Die Nase irrt nicht. Eigentlich. Dieses Mal offenbar schon.
Die Lobby ist fast leer, nur der Sicherheitsdienst grüßt mich höflich. Ich grüße ebenso freundlich zurück, nicke ihm zu und betrete den Fahrstuhl. Oberstes Stockwerk. Dort ist mein Büro.
3
~ MAJA ~
»Viel Glück.« … Dabei hat er mich mit einem Blick angesehen, als wäre ich der Antichrist.
Idiot!
Mit gemischten Gefühlen starre ich Ethan Winter hinterher und meine anfängliche Unsicherheit switcht um in gemischte Gefühle. Flüchten oder weitermachen? Schlussendlich hakt sich mein innerer Zeiger bei einem »Jetzt erst recht« fest. Diesem Bürohengst werde ich es schon zeigen. Jawohl!
Blöderweise gefällt mir sein Gang immer noch. Und diese Mischung aus Zurückhaltung, Entschlossenheit und Präsenz imponieren mir. Dass er mich für absolut deplatziert hält, ist mir klar, weckt aber auch meinen Ehrgeiz. Dummerweise mein Interesse gleich mit. Der Kerl hat zwar einen Stock im Arsch, dafür sieht er höllisch gut aus. Mir ist nicht entgangen, wie die Regieassistentin ihn angesehen hat.
Ach was, ich sollte nicht so lange darüber nachdenken, mich ärgern, trotzig reagieren oder mich sogar infrage stellen. Fakt ist: Alles, was komplett gegensätzlich zu mir ist, macht mich neugierig. Und dieses Studio weckt ebenfalls mein Interesse.
Von außen hätte ich nicht vermutet, dass der Raum ungefähr so groß ist wie ein Fußballfeld. Ich bin beeindruckt und fühle mich ein klein wenig überfordert. Auch wenn nicht so viele Menschen anwesend sind wie befürchtet. Immerhin ein kleiner Lichtblick. Dennoch ungewohnt, neu und definitiv eine Herausforderung.
Die Crew, die sich vor dem Badezimmer positioniert hat, besteht aus dem Regisseur Leo, dem Praktikanten Tobi, der jedem Kaffee bringt und ansonsten alles filmt, was ihm vor die Nase kommt, ein Kameramann, einer, der dabei steht und die Kabel hält, und die blonde Regieassistentin. Sie besitzt eine Oberweite, von der Männer wahrscheinlich nachts träumen. Ob die Dinger echt sind?
Fünf Menschen. Das kriege ich gewuppt.
Ich sehe mich genauer um. Überall um mich herum Kulissen: ein komplettes Wohnzimmer mit einer riesigen Sofalandschaft, ein Krankenhauszimmer, das so steril wirkt, dass man automatisch die Hände desinfizieren möchte. Ein Kinderzimmer in rosa Farbtönen, eines in Blau mit Flugzeugpostern an den Wänden, eine komplett ausgestattete Küche mit frei stehendem Herd, wahrscheinlich für Kochshows, und zuletzt mein Einsatzort: ein großes, hell erleuchtetes Badezimmer aus weißem Marmor mit begehbarer Dusche, weißem Doppel-Waschtisch mit Seifenspender und einem Korb mit Handtüchern, einem mit Lockenwicklern sowie ein Badvorleger, Duschtücher und zwei flauschige Bademäntel in einem frischen Mint. Das Bad schreit förmlich nach einem Werbespot für Seife. Oder eben für Zahnpasta.
Der ganze Rummel passt nicht wirklich zu mir. Oder?
Nein. Passt nicht. Aber ich verspüre jetzt zum Glück einen starken inneren Drang, das Beste aus mir herauszuholen und diese Probeaufnahme im Maja-Style zu meistern. Wäre doch gelacht.
Also dann – Ärmel hochkrempeln, Krönchen richten und ab dafür.
Sie werden mich zwar ganz nett, aber ungeeignet finden. Soll mir recht sein. Ich habe meinen Spaß. Danach gehe ich aus dem Studio und werde es nie wieder betreten.
Ich komme mir vor, als würde ich einen Punkt auf meiner nicht vorhandenen Bucket-List abhaken.
Sich zum Affen machen. Done!
Leo Carter fährt sich immer wieder durch die Haare und quasselt auf den gelangweilt kaugummikauenden Kameramann ein. Am Regiestuhl steht Tim und schenkt Leo gerade Kaffee in einen Becher.
»Kann ich auch einen haben?« Nanu, meine Stimme klingt entgegen meiner inneren Einstellung piepsig. Ich räuspere mich und starte einen neuen Versuch. Diesmal energischer. »Tim, gib mir auch einen. Bitte.«
Na also, geht doch.
Timchen zuckt zusammen und fragt mich, wie ich ihn gerne hätte. Innerlich muss ich grinsen. Wen? Den Kaffee oder den Guru? Letzteren bitte knapp bekleidet mit Pfauenfeder in der Hand, mit der er mir Luft zufächelt.
»Schwarz und süß. Und ein Wasser, bitte, wenn möglich.«
Kurz darauf nehme ich einen Schluck aus der Wasserflasche und kippe Kaffee hinterher. Ah, gut. Jetzt geht es mir besser.
Und wenn du denkst, es geht nichts mehr, kommt von irgendwo ein Kaffee her.
»Bereit?« Leo nimmt mir Flasche und Tasse ab und strahlt mich an, als wäre ich die Reinkarnation der Leinwandlegende Greta Garbo, seine Zähne blitzen weiß. Er wäre die perfekte Werbefigur. Okay, bis auf die Haare vielleicht. Und den Dreitagebart. Und die kurzen Beine.
Ich nicke und harre der Dinge, die da jetzt auf mich zukommen.
»Maja! Jetzt hätte ich gern dein lebhaftes Lächeln, aber mit mehr … wie soll ich sagen? Glanz! Ja, genau. Glanz«, ruft Leo und drückt mir eine neue Zahnpastatube in die Hand.
»Mit Glanz, alles klar. Ein bisschen Glitzer um die Mundwinkel könnte helfen.«
Tim kichert und versteckt sich dabei hinter seinem Handy. Ich strecke ihm kurzerhand die Zunge raus.
»Kein schlechter Vorschlag, kein schlechter.« Leo lacht und seine Augen blitzen belustigt. Er kann offenbar kaum erwarten, dass ich mein Gesicht in die Kamera halte. Nun, wenigstens ein Mann, der mich ansieht wie ein Weltwunder. »Bist du bereit für die erste Aufnahme?«
»Gibt es noch eine zweite?«
»Man wird sehen, man wird sehen. Wie ich sehe, bist du im perfekten Move. Bestens, bestens. Komm mit.« Er drückt mir eine Zahnpastatube in die Hand und ich folge ihm ins hell erleuchtete Badezimmer. Was tut man nicht alles für ein bisschen Spaß.
Spaß? Völlig unerwartet packt mich das Lampenfieber und mir flattern leicht die Knie. Okay, der Kaffee war stark und unter den Scheinwerfern ist es ziemlich heiß. Der erste Schweißtropfen macht sich auf den Weg von der Stirn Richtung Augenbraue.
Das bleibt nicht unbemerkt.
»Maske!«, brüllt Leo, noch bevor ich den Tropfen mit dem Handrücken wegwischen kann.
Beim nächsten Atemzug steht das Busenwunder vor mir, bewaffnet mit einem kleinen Köfferchen. »Ts, ts, nicht selbst Hand anlegen, das mache ich. Und ein bisschen Rouge noch dazu. Perfekt.«
Ich überlege, ob ich nach Glitzer fragen soll, lasse es aber.
Sie stellt den Koffer auf dem Boden ab, öffnet ihn und tupft mir das komplette Gesicht mit Puder ab. Dann trägt sie mir etwas Rouge auf, bürstet meine Haare durch und verschwindet wieder. Nett. Eine Rückenmassage wäre jetzt nicht schlecht. Oder eine Klimaanlage. Ist echt eine Bullenhitze hier.
Und es ist mir ein klitzekleines bisschen unangenehm, dass ich im Fokus stehe. Spotlight, alle Lichter auf Maja, Großaufnahme. Uh, da ist ein Pickel auf der Stirn.
Ich kichere bei der Vorstellung einer Riesenpustel, die sich leuchtend rot dem Puder zur Wehr setzt und sich mit dem nächsten Schweißtropfen abklatscht.
»Maja, Contenance. Du stehst frühmorgens im Bad und öffnest deine neue Zahnpastatube. Charmant, elegant, mit einem Hauch von Abenteuer!«
Abenteuer?
»Ähm …« Ich hebe die Hand wie ein Schüler. »Das ist eine Zahnpastatube, keine Schatzkarte. Außerdem putze ich mir die Zähne morgens vor dem Anziehen, ihr nicht? Und sollte ich nicht etwas anderes tragen als Straßenkleidung und Sneakers? Es ist schließlich frühmorgens und ich bin gerade aufgestanden.«
»Natürlich, natürlich! Bei der finalen Aufnahme ist das selbstverständlich so. Oder möchtest du jetzt gleich … ?« Er springt auf und trippelt mit seinen kurzen Beinen auf mich zu und reicht mir einen der Bademäntel. »Jetzt gleich. Warum nicht.« Er dreht sich um. »Wo sind die verdammten Hausschuhe?«
»Hinter der Tür«, antwortet jemand, den ich nicht erkennen kann, weil mich die Scheinwerfer blenden.
Leo bringt mir die mintfarbenen Hausschuhe. »Zieh die Schuhe aus und trage den Bademantel einfach über deiner Kleidung.«
»Dann erschwitze ich.«
»Ist ja nur eine Probeaufnahme.« Mit den Worten verschwindet er zum Regiestuhl. In der Zwischenzeit ziehe ich die Schuhe aus, stelle sie neben die Kulisse, kremple die Hosenbeine bis zum Knie hoch und wickle mir spontan einen Lockenwickler in eine dicke Haarsträhne.
»Prima Idee, prima Idee!«, jubelt Leo. »Jetzt nimm die Zahnbürste und gib etwas Dentivive drauf. Die Vorfreude auf den Genuss dieser Superweiß-Pasta lässt dich strahlen.«
»Ich strahle morgens nicht, ich bin froh, wenn ich erkennen kann, wer mir da im Spiegel so verschlafen entgegengähnt«, nuschele ich. Und etwas lauter: »Jo, wenn hier eine Zahnbürste wäre …« Ich öffne den Spiegelschrank. Ah, da ist sie ja. »Hab sie!« Mit einem breiten Lächeln halte ich sie hoch.
»Bleib so!«
»Hä?!«
»Bleib so. Lache noch mal. Ja, genau so. Hank, hast du das im Kasten?«
Hank nickt, ich bekomme gleich einen Gesichtskrampf.
Tim stellt sich seitlich vor mich und macht ein Foto. Na danke.
»Jetzt die Zahnpasta. Mach ein Ritual draus. Nur du, der erste Moment mit Dentivive. Du liebst diesen Augenblick, bist glücklich.«
»Oh, meine Dentivive«, hauche ich auf den Schriftzug. Soll ich ihn küssen? Vielleicht bekomme ich ja – Plopp – einen kühlen Schneemann? Funktioniert in Märchen mit Frosch. Ich schraube kichernd den Deckel ab, drücke auf die Tube – und ein Strahl Zahnpasta schießt heraus. Ohne Umwege klatscht er auf Tims Handy. Ups, bisschen fest gedrückt. Der Kaffee ist wohl echt stark gewesen …
»Äh … sorry!«
Für einen Moment ist es still. Dann bricht Leo in schallendes Gelächter aus. »Das war großartig!«
»Das war ein Unfall!«, protestiere ich, und Leo relativiert. »Ist ja nur eine Testaufnahme.«
Tim steht kurz vor einem Heulkrampf und säubert mit einem Zipfel seines Shirts das Display, Leo gibt mir ein Blatt mit Text. »Einfach ablesen, mit Leidenschaft. Mit Enthusiasmus. Und mit deinem sympathischen Lächeln! «
Ach, wie schön. Mir hat noch niemand gesagt, dass ich ein sympathisches Lächeln hätte. Das ist wie eine Energiedusche auf meine von den Scheinwerfern erhitzten Synapsen.
Aber nur kurz.
Ich sehe auf das Blatt Papier und lese nuschelnd vor: »Jeder Morgen beginnt mit einer Entscheidung. Der Entscheidung, den Tag mit einem Lächeln zu beginnen – einem Lächeln, das überzeugt.« Boah, wie langweilig. Bei der nächsten Zeile verdrehe ich die Augen und spreche Leo direkt an. »Weiß, weißer, ultraweiß. Für ein Lächeln so strahlend wie die Sterne Hollywoods? Bisschen übertrieben, oder? Klar, schonend aufhellen ist toll, aber ich will doch nicht aussehen, als hätte ich meine Zähne im Greenscreen der Film-Traumfabrik Amerikas vergessen. Also bei diesem Slogan würde ich wegschalten. Ihr doch auch, oder? Mal ehrlich.«
Betretenes Schweigen. Tim kichert.
Ich höre ein Räuspern. Das kommt von Leo, der mir mitteilt, dass Werbung nie die Realität ist.
»Also gut, schade zwar, aber wenn ihr meint«, murmele ich, gebe einen langen Strang Zahnpasta auf die Bürste und halte sie waagrecht auf der Höhe meiner Brust. Mit der anderen Hand halte ich die Tube daneben. Was noch? Ah, Lächeln.
»Weiß, weißer, ultraweiß …« In diesem Moment legt mein Hirn Veto ein und übernimmt die Kontrolle. »Für ein Lächeln, das selbst die Kaffeeflecken übertüncht. Zahnverfärbung war gestern. Freie Fahrt für Rotwein, Curry und Balsamico-Essig.« Ich grinse, dann muss ich losprusten. Dabei rutscht die Pasta von der Bürste und klatscht auf den Hausschuh. »Tja, hellt auch Fußnägel auf. Wahrlich ein Wunderzeug, diese Dentivive.«
Leo runzelt die Stirn, denkt kurz nach und schnippt dann begeistert mit den Fingern. »Sehr kreativ, wirklich sehr kreativ! Bisschen überspitzt, aber was nicht passt, wird rausgeschnitten. Ja, ich muss sagen, du wirkst … frisch, echt! Maja, du bist engagiert.«
Tim grinst hinter seinem Handy, und ich blase die Wangen auf. »Puh, okay. Aber nur, wenn ich eine Tube von dem Zeug mit nach Hause nehmen darf. Kann ich jetzt den Bademantel ausziehen? Ich komme mir vor wie ein mintfarbener Pinguin in der Sahara.«
Das meine ich natürlich nicht ernst. Insgeheim denke ich, dass er das so nicht meint mit dem Engagement.
»Aber sicher doch, sicher doch.« Leo springt auf und hilft mir aus dem Mantel.
Erleichtert kremple ich die Hosen wieder runter, ziehe die versauten Hausschuhe aus und tapse barfuß zu meinen Schuhen, die neben der Kulisse stehen. Was mache ich hier eigentlich? Ich will diesen Job gar nicht. Weiß, weißer, ultraweiß. Was für ein Schwachsinn. Der Slogan stammt mit Sicherheit von Mr Winter. Und der wird einen Teufel tun, den aufzugeben.
Halte dich an die Vorgaben. Bla, bla.
Etwa anderthalb Stunden später sitze ich ganz hinten im Bus auf dem Weg zurück nach Kemptown, fühle mich wie benebelt und telefoniere mit Sandy.
»Und dann gab es noch Sekt und ein kleines Buffet. Wahrscheinlich habe ich mich heillos überfressen. Und ich habe den Vertrag für diese eine Kampagne unterschrieben. Sandy, ich muss verrückt sein! Aber die Bezahlung ist einfach zu gut. Und ich darf unter meinen Bedingungen arbeiten, sagt Leo. Ob der Boss sein Okay dazu gibt, wäre abzuwarten. Ich glaub ja nicht dran. Aber …«
»Klar bist du verrückt«, unterbricht sie mich lachend. »Du klingst schon ein bisschen begeistert. Merkst du, ne? Nein, sag jetzt nicht, dass du überhaupt nicht begeistert bist, ich kenne dich besser. Du freust dich drauf. Kann es sein, dass du aufgeregt bist? Ach was, klar bist du das. Wäre ich auch. Wäre jeder. Gratuliere zu deinem Nebenjob. Warte nur ab, dein hübsches Gesicht wird bald im TV auftauchen.«
»Hör auf, mir Honig um den nicht vorhandenen Bart zu schmieren. Trotzdem danke, Freundin. Oh, ich muss aussteigen. Wir sehen uns später.«
Die zehn Minuten Fußmarsch machen mir den Kopf frei und ich bin überzeugt, mit der Unterschrift einen Fehler begangen zu haben. Ich muss das rückgängig machen. Geld hin oder her. Obwohl … Mein Konto schreit nach Kohle.
Ich betrete das Café. Es ist voller als sonst, draußen sind alle Tische besetzt, was ja im Sommer normal ist, aber innen auch?
»Na, da ist sie ja wieder«, begrüßt mich Roger zwinkernd. Hat er eine Mücke im Auge und Zahnweh? Ich sehe deutlich, dass er sich ein Grinsen verkneift. Roger grinst nie! Und die anwesenden Gäste – sehen mich neugierig an. Einer hebt den Daumen in meine Richtung. Was ist denn hier los? Egal, schnell in die Küche, Schürze an und Schicht antreten. Das wird mich auf andere Gedanken bringen.
»Bin wieder da«, verkünde ich Ellie und hänge meine Tasche über die Stuhllehne. Meine Chefin steht mit dem Rücken zu mir, summt ihr Lied und knetet Teig. Bei meinen Worten verstummt sie, dreht sich zu mir um, säubert sich die Hände an der Schürze und strahlt mich an.
»Maja! Erzähl mir alles! Oh, warte mal.« Kichernd zupft sie mir etwas aus den Haaren. Autsch. Der Lockenwickler. Ich versinke fast im Boden.
»War das eine Requisite?«
»Ja … und damit bin ich wohl Bus gefahren. Habe mich schon gewundert, warum mich manche so komisch angesehen und gegrinst haben …« Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen. »Ellie, wenn ich jemals wieder erwähnen sollte, ich will in einem Werbespot mitspielen, dann schlage mich mit dem Toaster, okay?«
Sie lacht, schenkt mir eine Tasse Tee ein und setzt sich zu mir. »War es so schlimm? Kann ich mir gar nicht vorstellen.«
»Nein, nicht schlimm, aber … Machst du dich über mich lustig?«
»Ganz im Gegenteil … Ich erkläre es dir. Einer der Gäste hat mir etwas ziemlich Witziges und Cooles gezeigt.« Sie zückt ihr Handy.
Cool? Seit wann benutzt Ellie solche Wörter? Und warum wechselt sie so spontan das Thema? Wollte sie nicht, dass ich vom Casting erzähle? Ich bin irritiert, gehe aber drauf ein.
»Na, dann zeig mal.«
Vier bis fünf hektische Atemzüge und ein Herzstolpern später bin ich bereit, mir Rum in den Tee zu kippen.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, krächze ich. »Tim hat das hochgeladen? Ich bring ihn um!«
Ich strahle morgens nicht, ich bin froh, wenn ich erkennen kann, wer mir da im Spiegel so verschlafen entgegengähnt, sehe und höre ich mich sagen. Im Hintergrund das Kichern von Leo. Das Youtube-Video endet, als die Zahnpasta auf die Linse klatscht und mit meinem »Ups!«.
Loch, tu dich auf, ich will in dich reinfallen!
Alternativ könnte ich in eine Tüte atmen.
Nebenbei … geht es nur mir so, oder ist es normal, dass man seine eigene Stimme furchtbar findet, wenn man sie hört?
Ellie legt tröstend eine Hand auf meine Schulter. »Liebes, du kommst herrlich charmant und spontan rüber. Die Menschen mögen so etwas. Schau mal, wie viele Likes dein Video schon bekommen hat! Über vierzigtausend!«
Ich verschlucke mich kurz an meiner eigenen Spucke.
»Nicht mein Video. Und die vier ohne das tausend dahinter wäre mir lieber. Falsch, null wären prima«, raune ich um den fetten Kloß in meinem Hals herum.
Das Video ist eine Katastrophe inklusive vollständigem Würdeabrieb. »Ich will keine Likes, Ellie! Ich will meine Ehre zurück!«
Sie lacht nur. »Maja, du gehst gerade viral. Freu dich drüber, ist doch wunderbar. Du wirkst übrigens total komisch und ich mag den Sarkasmus in deiner Stimme. Mich würde es nicht wundern, wenn diese Weiß-weißer-ultraweiß-Pasta ein Verkaufsschlager wird. Ganz nebenbei war das Café noch nie so voll um diese Tageszeit.« Sie lacht und schüttelt den Kopf.
Ich. Muss. Tim. Töten!
NA? Hat dir die Leseprobe BE SMART gefallen und du bist jetzt neugierig, wie es weitergeht?
Dann hol dir den Roman und lies weiter.
Ich wünsche Dir mega viel Spaß in Brighton.
Deine