Wenn Dein Herz plötzlich weiß, dass jede einzelne Minute in deinem Leben nur das eine Ziel hatte: IHN zu finden!
Darran Dunmore, ebenso reich wie berühmt, zieht sich in die schottischen Highlands zurück, dorthin, wo niemand ihn kennt. Und er hat einen verdammt guten Grund dazu.
Seine Ruhe wird jedoch schlagartig beendet, als gleich zwei Frauen vor seiner Tür stehen. Die eine verdreht ihm den Kopf, die andere droht, seine Tarnung auffliegen zu lassen.
Ob er will oder nicht, Darran muss sich seiner Vergangenheit stellen.
Was er dabei überhaupt nicht brauchen kann, ist eine Frau, die ihm zeigt, wie es ist, zu lieben.
Fiona Dewar hat genug von der Liebe. Sie will nur noch den Kopf freibekommen und ihr Leben neu sortieren. Und wo landet sie? Ohne Handyempfang mitten in der Pampa der Highlands. Im Winter! Zum Glück ist ihre beste Freundin bei ihr.
Und dann begegnet sie ihm – Darran Dunmore. Ein Mann wie eine Naturgewalt.
Höllisch attraktiv, aber auch total ungehobelt. Na, Prima! Als dann auch noch ihre Freundin sich plötzlich von einer ganz miesen Seite zeigt, sitzt Fiona in der Klemme. Sie muss sich entscheiden: Freundschaft oder Liebe?
Eine moderne Liebesgeschichte über große Gefühle, Leidenschaft und die Kraft der Liebe.
Dieser atemraubende Liebesroman mit garantiertem HEA ist in sich abgeschlossen und perfekt für ein romantisches Lesevergnügen! Viel Spaß beim Lesen wünsche ich mit der Leseprobe!
Leseprobe Highland Hero
Zwei und ein halbes Jahr zuvor
Sie ist die Frau meines Lebens!
Kaum zu glauben, dass ausgerechnet ich diesen Satz denke und dabei ein völlig neues Glücksgefühl empfinde. Trotzdem bremse ich mich, obwohl ich am liebsten das Gaspedal durchdrücken möchte, und lenke den Landrover konzentriert durch den Stadtverkehr in Fort Williams. Es regnet. So sehr, dass die Scheibenwischer auf Hochtouren laufen.
Mein Geschäftsführer Steven schnauft genervt aus. »Musst du unbedingt zur Mittagszeit noch einen Umweg fahren? Wir kommen zu spät zu unserem Termin mit den Bauträgern.«
»Warum bist du so aufgeregt? Man könnte meinen, es wäre deine erste Vergabe eines Auftrages.«
»Nein, ist es nicht. Aber ich komme ungern unpünktlich, das weißt du.« Nervös zupft er an seiner Krawatte und streicht mit der Hand über sein schütteres Haar.
»Wir sind gleich da«, antworte ich und hoffe, es wirkt beruhigend. »Und wenn wir uns verspäten sollten, was ich nicht glaube, wird deine attraktive Sekretärin ihnen sicher einen Tee zubereiten. Keine Sorge, das hübsche Wohngebiet in Edinburgh wird auch gebaut, wenn wir fünf Minuten zu spät kommen.«
Steve ist fast fünfzehn Jahre älter als ich, meine rechte Hand und ich verlasse mich voll auf ihn. Ihn vor einem halben Jahr in die Geschäftsführung übernommen zu haben, war die richtige Entscheidung.
Heute haben wir unser Mittagessen nicht wie üblich in der Firmenkantine zu uns genommen. Mir war nach etwas Abgeschiedenheit und ich habe Steven kurzerhand zum Muschelessen ins Grannog Seafood eingeladen.
Zum wiederholten Male blickt Steven auf die Uhr, will mich damit wortlos zur Eile drängen. Es gelingt ihm nicht, ich bin zu glücklich und aufgeregt, um mich von meinem Vorhaben abbringen zu lassen, einen kleinen Umweg zu fahren.
Gleich werde ich Helena sehen und sie für heute Abend zum Essen einladen. Helena … Allein der Name zergeht wie Champagnersorbet auf der Zunge.
Das Tempo gedrosselt, halte ich Ausschau nach der Boutique, in der Helena arbeitet. Wie heißt der Laden? Ah, Fine & Unique. Mein Butler Miles hatte mir die Adresse herausgesucht. Dass ich in diesen Minuten auf dem Weg zu Helena bin, die ich eigentlich nur einmal kurz auf der Party eines Freundes gesehen und mit ihr geplaudert habe, ist mehr meiner Spontanität zuzuschreiben. Etwas, das Steven völlig abgeht. Aber ich muss sie einfach wiedersehen. Ich habe das Gefühl, dass mein Besuch in der Boutique mein Leben verändern wird. Und weiß Gott, das hat bisher noch keine Frau geschafft.
»Dir liegt offenkundig viel an dieser Helena. Was hat sie, das deine Betthasen nicht haben?«
»Frag mich später«, sage ich knapp, denn ich sehe durch den Regen die beleuchteten Buchstaben Fine & Unique. Fast wäre ich daran vorbeigefahren.
Ruckartig reiße ich das Lenkrad herum und lenke den Wagen auf einen freien Parkplatz.
»Hey, geht das auch sanfter?« Steves hagerer Körper zuckt zusammen.
»Sorry, ich hab den Laden erst in letzter Sekunde entdeckt.«
Im nächsten Moment öffne ich die Tür und ziehe unwillkürlich die Schultern hoch, so sehr regnet es. Aber ob mich das trocken bleiben lässt, bezweifle ich stark.
Dann höre ich einen Schrei und ein Platschen.
Mist! Jetzt wird die Sekretärin wohl doch einen Tee kochen müssen.
»Laufen Sie immer so nah an der Straße entlang?!« Voller Ungeduld fahre ich die blonde Frau an, die zugegebenermaßen bemitleidenswert aussieht, wie sie in einer Regenpfütze sitzt und entsetzt eine durchweichte Tragetasche hochhält. Die ist auf der Seite aufgerissen, und heraus hängt ein dunkler, paillettenbesetzter Stoff. Und tropft.
Herrje! Ich will zu Helena, und ich will vermeiden, dass sie mich durch das Schaufenster sieht. Wo bleibt denn da die Überraschung? Mit Karacho knalle ich die Wagentür zu und reiche der sichtlich aufgebrachten Frau meine Hand.
»Danke, aber nein danke!«, blafft sie zurück, funkelt mich aus verblüffend blauen Augen an und zieht sich an einem Pfosten hoch. Fast muss ich lachen, als ihr eine vom Regen nasse Haarsträhne ins Gesicht rutscht und an ihrem Mundwinkel kleben bleibt. »Und glotzen Sie nicht so dämlich. Sie können froh sein, dass ich mir nicht wehgetan habe. Nein, ich bin nur total durchnässt wegen eines Idioten, der die Wagentür aufreißt, ohne zu gucken, ob da jemand entlanggeht! Ist das noch zu fassen?«
Während sie schimpft, schiebt sie die Haarsträhne zur Seite. Ohne Erfolg, sie rutscht immer wieder zurück. Ob ich ihr sagen soll, dass sich auch ihre Wimperntusche auf den Weg zu ihren Lippen macht? By the way: schöne Lippen. Weich und rosig.
»Tut mir wirklich leid.« Beschämt fische ich meine Brieftasche hervor und strecke ihr drei Hundertpfundnoten entgegen. »Das ist für die Reinigung. Verzeihen Sie bitte, war keine Absicht, ich musste nur ganz schnell in die Boutique.«
»Schön, viel Spaß. Da war ich auch gerade. Kleid gekauft. Schätze, die erste Wäsche hat es jetzt schon.« Sie hebt mir die durchweichte Papiertüte mit dem Schriftzug Fine & Unique vors Gesicht. »Und Ihr Geld können Sie behalten, Mister.«
»Dunmore.«
»Danach habe ich nicht gefragt. Guten Tag noch.«
Noch bevor ich etwas erwidern kann, eilt sie davon, die aufgeweichte Papiertasche an sich gedrückt. Ohne Schirm. In strömendem Regen.
Verblüfft stecke ich das Geld zurück und sehe ihr hinterher, wie sie mit klatschnasser Jeans und laut fluchend die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zieht. Einen süßen Arsch hat sie, die Kleine.
Als Nächstes höre ich das Bimmeln einer Ladentür.
»Darran? Was machst du denn hier?«
Eins
Zwei und fast ein halbes Jahr später.
Eine Woche vor Hogmanay
Ein wolkenloser und eisiger Tag geht zu Ende.
Nachdenklich am Tee nippend, stehe ich am Küchenfenster, eine Hand auf den Heizkörper gelegt, und genieße die von ihm ausgehende Wärme sowie den Blick in meinen kleinen, aber von unzähligen LED-Lämpchen beleuchteten Vorgarten. Wie wunderbar es aussieht, wenn der Schnee in weichen, glitzernden Hügeln über den Buchsbäumchen liegt. Von mir aus darf der Winter sich bis in den März hineinziehen. Vielleicht habe ich Glück. Der Wetterbericht sagt, es wird einer der längsten und schneereichsten in den Highlands.
Ich seufze lange auf. Zwar liebe ich diese Jahreszeit mit all ihren Facetten, der kommende Jahreswechsel jedoch fühlt sich an, als würde nicht nur das Jahr, sondern auch mein Leben einen Wandel erfahren. Noch eine Woche bis Hogmanay, dem schottischen Silvester. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn mit James verbringen will. Hm.
Das Telefon klingelt.
»Hallo, Süße. Ich dachte mir, ich komme vorbei und bring Pizza mit. Nein, keine Widerrede. Okay? Bis gleich.«
Klack. Aufgelegt.
Warum bin ich eigentlich mit ihm zusammen? Ah ja, weil er in dem Pub, den ich mit meiner Freundin Alison besucht hatte, so unglaublich charmant war. Und ich brauchte zu dem Zeitpunkt einen Anker. Einen Mann, den ich über alles liebe, oder besser gesagt, einfach mal wieder einen Kerl in meinem Leben nach der Schlappe mit Calan. James ist reich, gut aussehend und … ja, sportlich auch. Ein bisschen. Aber er hat Haare auf der Brust. Ich mag keinen übermäßigen Haarwuchs im Gesicht und auf Oberkörper oder gar Rücken eines Mannes. Außerdem sucht er eine Frau zum Heiraten. Aber ob ich diese Frau bin?
Tatsache ist: Mir fehlt ganz aktuell die Lust, vergnüglich plaudernd Pizza zu essen. Korrigiere: Ich habe null Lust auf James. Und Hunger verspüre ich ebenfalls nicht. Eher so einen Kloß im Magen.
Was hatte James vor ein paar Tagen gesagt und mir damit klargemacht, dass ich alles sein will, nur nicht mit ihm zusammen?
»Fiona, du bist achtundzwanzig Jahre alt. Somit im perfekten Alter, um Mutter zu werden. Nebenbei bemerkt, ahne ich, dass du eine wunderbare Ehefrau sein wirst. Du bist jung, siehst gut aus, hast Umgangsformen, kleidest dich stets vorbildlich in milden, hellen Farben, bist sanft und umgänglich. Und natürlich liebe ich dich. Alles an dir. Angefangen von den hellblonden glänzenden Haaren bis hinunter zu beispielhaft manikürten Zehennägeln.«
Na, wenn das keine abtörnende Liebeserklärung gewesen ist, weiß ich auch nicht.
Sanft und umgänglich! Eher dämlich und spröde?
Dazu kommt der Blümchensex, der immer gleich abläuft. Herrje! Wir sind erst sechs Wochen zusammen, da sollten Betten zu Bruch gehen, während wir uns ekstatisch von einem Orgasmus zum nächsten vögeln. Nicht, dass ich das jemals erlebt hätte.
Realitätscheck: rein, raus, »Gute Nacht, Schatz«. Und ich bin heilfroh, dass ich überhaupt noch in der Lage bin, die Worte Sex und vaginaler Höhepunkt zu buchstabieren. Gut, es ist nicht so, dass ich den Sex unbedingt brauche oder generell jemals willenlos durchgevögelt wurde, so wie Alison es immer beschreibt. Das mit James allerdings ist mir zum einen zu viel, zum anderen zu wenig. Darüber hinaus fühlt sich eine Beziehung zu James falsch an. Er sucht nur eine Frau zum Heiraten, Vorzeigen und Kinderkriegen.
Kaum habe ich die Tasse abgespült, klingelt es an der Tür.
Lange seufze ich auf. Angefangen mit dem Herbst, hat meine Welt beschlossen, aus den Fugen zu geraten, und will einfach nicht mehr damit aufhören, zeigt mir am laufenden Meter, dass ich auf dem falschen Weg bin. Ein Königreich für Durchblick!
»Hi, Darling«, flötet James gestelzt und mein Blick fällt auf die schwarze Schachtel in seiner Hand.
»Hi, das sieht nicht nach Pizza aus«, stelle ich fest. »Es riecht auch nicht danach.«
»Richtig.« James zwinkert mir zu, schiebt sich an mir vorbei und geht durch den Flur direkt ins Wohnzimmer. »Überraschung! Du wirst Augen machen.«
Skeptisch folge ich ihm. »Aber ich habe weder Geburtstag noch Namenstag noch …« Den Rest verkneife ich mir.
… noch haben wir Jahrestag. Und aller Voraussicht nach werden wir auch nie einen haben.
»Geschenke kommen von Herzen, sie brauchen kein Datum.«
Na, das hat er aber schön gesagt. Bisschen kitschig und wie von einem Kalenderblatt abgelesen, dennoch schön.
Er stellt die Schachtel auf den Tisch und bedeutet mir, sie zu öffnen. Gleichzeitig zieht er sein Sakko aus, das Hemd, die Hose …
»Äh, was soll das werden?«, frage ich irritiert. Allein die Verpackung des Geschenks lässt mich innerlich mehrere Schritte zurücktreten. Schwarz mit einer roten Schleife darum.
»Du wirst schon sehen«, sagt er siegessicher und in seinen Augen glimmt es, wie immer, wenn er Sex will.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch löse ich die Schleife und hebe den Deckel an.
Schlagartig fühle ich mich wie im falschen Film. Zwischen ohnmächtiger Scham und brüllender Entrüstung schwankend, starre ich auf den knallroten, billigen Sexfummel der Sorte: kratzt im Schritt. Oder besser, würde kratzen, denn obenauf liegt ein Slip, der an der entscheidenden Stelle offen ist.
Mit spitzen Fingern schiebe ich ihn zur Seite und hebe die darunter liegende rote Korsage in die Höhe. Ist das sein verdammter Ernst?! Unabhängig davon, dass ich mir in dem Teil wie eine Prostituierte vorkommen würde, schnürt das Ding sicher das Zwerchfell zusammen. Atmen unmöglich.
»Da bist du platt, was?« James starrt mich mit dem lüsternen Blick eines notgeilen Ich-wichs-mir-täglich-einen-ab-Typen an und leckt sich die Lippen. Nebenbei stelle ich fest, dass er nur noch in Boxershorts vor mir steht und sich seinen Ständer reibt.
Ungläubig und angewidert, werfe ich alles in die Kiste zurück, klappe den Deckel zu und drücke sie ihm in die Arme. »Ja, ich bin platt. Sag mal, ist das dein Ernst? Was soll der Scheiß?! Willst du mich in eines deiner Pornohäschen aus dem Monatsabo im Netz verwandeln, oder was? Raus hier! Sofort. Das war es mit uns. Du bist … du bist … ekelhaft!«
Wutentbrannt sammle ich seine Klamotten vom Boden auf, lege sie ihm quer über die Schachtel und lege zum Abschluss die Schuhe darauf.
»Aber Fiona …«, stammelt er. »Ich wollte dir lediglich … Hey, du könntest echt heiß sein in dieser Wäsche.«
»Das reicht! Raus!«
»Aber … hey! Bist du irre? Es ist vielleicht kalt, und was, wenn mich jemand sieht?«
»Das ist mir so was von egal! Im Übrigen war ich noch nie so klar im Kopf!« Ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass draußen Minusgrade herrschen und die Nachbarn in unserer konservativen Siedlung sich noch monatelang das Maul zerreißen würden, schiebe ich ihn ins Freie.
Rumms! Tür zu.
Direkt im Anschluss reiße ich sie wieder auf. »Und lass dich hier bloß nicht mehr blicken! Viel Erfolg bei der Suche nach einer ach so vorzeigbaren Gattin, die sich für dich zum Affen macht! Schenk das tolle Dessous einfach deiner Sekretärin. Die steht auf billig.«
»Mach ich auch!«, brüllt er, wirft alles auf den Boden und zieht seine Hose an. »Sharon ist wenigstens gut im Bett!«
Eine ältere Frau bleibt interessiert stehen und ihr kleiner weißer Hund pinkelt an meinen Gartenzaun. Ich ignoriere sie einfach.
»Ach, ist sie das? Dann viel Spaß noch!«
So ein Arschloch!
Eine Woche später
»Zehn. Neun. Acht …« Die Stimmen der geladenen Gäste klingen wie eine.
Das Jahr endet mit Schneeblumen, klirrender Kälte und prickelndem Champagner.
Und der Tatsache, dass ich den Jahreswechsel wie gehabt als Single zelebriere. Aber zumindest in illustrer Gesellschaft.
Mit einem wehmütigen Gefühl im Herzen betrete ich den weitläufigen Garten des Glenlaggan Castle. Huh, ist das eisig. Vielleicht hätte ich von Strumpfhosen und High Heels Abstand nehmen sollen. Aber wie sehen denn gefütterte Winterstiefel zu einem schwarz-violetten und sündhaftteuren Paillettenkleid aus? Oder? Geht gar nicht. Schließlich ist das Hogmanay eines der größten Feste in Schottland. Von mir aus könnte man das in den Sommer schieben, dann müsste ich jetzt nicht vermummt wie ein Eskimo und mit eiskalten Zehen im Freien stehen.
Der Garten ist in Millionen Lichter getaucht, die den Schnee märchenhaft glitzern lassen. Wie wundervoll. Ein kleiner Trost. Trotz Kälte. Und trotz …
Alison drückt mir ein Sektglas in die Hand. Mein »Danke« geht in einem lauten Knall und großem Gejohle unter.
»Bliadhna Mhath Ur, mein blonder Engel. Frohes neues Jahr!« Alison legt einen Arm um mich und haucht mir einen Kuss auf die Wange. »Schon wieder das Paillettenkleid? Das hast du die letzten zwei Hogmanay bereits getragen.«
»Ich wünsche dir auch ein frohes neues Jahr, Alison. Auf dass alle deine Träume in Erfüllung gehen. Im Übrigen gefällt mir das Kleid. Sehr sogar. Und es lässt meine kleinen Brüste größer wirken. Außerdem habe ich nicht das Geld, mir jedes Jahr einen neuen Silvesterfummel zu kaufen.« Etwas zerknirscht nippe ich am Champagner, der fast so kalt ist wie meine Beine, und wünsche mir einen heißen Becher Honigmet anstelle des Prickelwassers.
»Als Inhaberin eines florierenden Cateringservice solltest du dir gelegentlich neue Garderobe leisten können.«
»Einmal im Leben, wenn du mit Garderobe ein Kleid für fast tausend Pfund meinst. Nur so nebenbei: Du vergisst die Steuer und die Gehälter und …«
»Warum denn so zickig?«
»Emotionsflexibel, bitte«, schmolle ich.
»Schatz, du weißt doch, wie ich das meine.« Tröstend stupst sie mich an. »Gönn dir öfter mal was, hm? So, ich gehe Neujahrswünsche unter den Menschen verteilen, bevor ich hier noch festfriere.« Meine Freundin zwinkert mir zu und verschwindet in der Menge.
Gönn dir was. Pah! Alison hat keine Ahnung, was es heißt, ein Geschäft zu führen. Es ist nicht alles Gold, auch wenn es nach außen hin so glänzt. Außerdem erinnert mich das Kleid an den tollen Mann, der mich im Sommer vor etwas mehr als zwei Jahren im wahrsten Sinne des Wortes aus den Schuhen gehauen hat. Ach, wer weiß …? Wenn ich damals nicht zu sehr damit beschäftigt gewesen wäre, um Calan herumzuschleichen und ihn für mich zu gewinnen, dann … Ach. Jedes Jahr an Hogmanay erinnere ich mich daran, wenn ich in dieses Kleid schlüpfe. Unsinnige Gedanken.
Fest umschließe ich die filigrane Champagnerflöte in meiner Hand und halte nach Rob Forrester, dem Gastgeber und Besitzer des luxuriösen Hotels, Ausschau. Doch ich entdecke ihn und seine Frau Sarah unter den vielen Menschen nirgends. Dafür bleibt mein Blick an Calan McGrant hängen. Der Calan, für den ich mein halbes Leben geschwärmt habe und der jetzt glücklich mit Annie ist. Schon seltsam, dass ich so gar nichts mehr für ihn empfinde. Es hat eben alles seine Zeit. Auch dass ich mir so viele Jahre eingebildet hatte, mein Himmel auf Erden würde nur an Calans Seite sein. Inzwischen freue ich mich aus ganzem Herzen für ihn, dass er seine große Liebe gefunden hat.
Nur bei mir klappt das mit dem Glück und Männern nicht so wirklich.
Mit einem kurzen Auflachen stürze ich den Sekt hinunter und stelle das Glas auf dem Tablett eines vorbeigehenden Kellners ab. Bevor ich mir ein Neues nehmen kann, versinke ich in einer festen Umarmung.
»Komm her, meine Kleine, lass dich drücken!« Lady Brianna, die Mutter von Calan, die mir mit den Jahren fast wie eine eigene Mutter geworden ist, schließt mich in ihre Arme und wir tauschen den üblichen Neujahrsgruß aus.
»Wo ist denn dein James?« Verwundert blickt sie sich um.
»Nicht da!«, antworte ich lakonisch und ergattere ein weiteres Glas Champagner von einem anderen Kellner. »Und er ist schon seit einer Woche nicht mehr mein James.«
Alison kommt dazu. »Was? Nicht mehr dein James? Hab ich was verpasst?«
Ich verdrehe die Augen. Typisch Alison. »Nein, aber vergessen. Du erinnerst dich? Dessous?«
»Äh. Oh! Ja, natürlich. Der kratzige Fehlgriff. Sorry, verdrängt. Zu furchtbar ….«
Lady Brianna, die mit ihren blonden Haaren und in ihrem durchweg weißen Outfit wie ein Schneeengel aussieht, tippt mich neugierig an. »Dessous?«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Das Geschenk war … nun ja, der letzte Tropfen sozusagen. Das hat nicht gepasst mit James und mir.«
»Und du hast ihn mitsamt dem Billigfummel aus dem Haus geworfen«, ergänzt Alison feixend. »Da hätte ich gern Mäuschen gespielt.«
Als ich an den belämmerten Gesichtsausdruck von James denke, muss ich grinsen. »Ja. War irgendwie witzig.«
»Lange seid ihr nicht zusammen gewesen, oder?«, fragt Brianna.
»Sechs Wochen, um genau zu sein«, weiche ich aus. Mir ist das Gespräch unangenehm.
Alison jedoch aalt sich noch ein bisschen in meiner Vergangenheit und lacht sich schlapp. »Dem sind wahrscheinlich alle Synapsen durchgebrannt, als er ein Geschenk für Fiona im Erotikshop gesucht hat. Rote Spitzenwäsche, war doch so, oder? Eine, die im Schritt kratzt und nur dafür da ist, sie höchstens drei Minuten anzubehalten. DAS hätte ich zu gerne gesehen. Fiona im Fickfummel. Wahrscheinlich wärst du damit an der Straßenlaterne …«
»Danke, das genügt!«, unterbreche ich sie ungehalten.
Das Jahr fängt ja gut an.
Die nächste halbe Stunde stoße ich mit Rob und Sarah, Calan und Annie und vielen anderen verschiedenen Anwesenden auf das neue Jahr an.
Dann sind meine Füße gefühllos.
Bei Alison untergehakt, trete ich einen wackeligen Gang zu einer der gemütlichen, roten Sitzgruppen im hinteren Bereich des Hotelfoyers an und plumpse in das weiche Leder.
»Oh Gott, meine Füße fallen gleich ab«, jammere ich und schlüpfe ganz undamenhaft aus den High Heels und knete die Eisbrocken, die eigentlich Zehen sein sollen.
»Geht mir nicht anders.« Alison setzt sich neben mich und schlägt grazil ein Bein über. »Und? Was sind deine guten Vorsätze für das neue Jahr?«
Unschlüssig zucke ich mit den Schultern. »Vielleicht ganz neu anfangen.«
»Was meinst du?« Sie stellt das Kneten ein und wirft mir einen irritierten Blick zu.
»Na, neu beginnen eben. Was anderes machen, durchstarten, mich orientieren. Was weiß ich? Ich frage mich schon seit ein paar Wochen, ob ich das Leben führe, das ich leben will.«
»Du hattest zu viel Champagner, Süße! Du bist Fiona Dewar, die ihren Cateringservice liebt, weil ihr Herz daran hängt, kleine Köstlichkeiten zu zaubern und ihre Kundschaft glücklich zu machen.«
»Und was, wenn ich darauf keine Lust mehr habe?«
»Machst du Witze?«, sagt sie, springt ohne Vorwarnung auf und holt uns vom Buffet Tee, der gerade serviert wurde. »Hier, das wärmt.«
»Soll ich da etwa die Füße reinhängen?«
»Haha! Und jetzt noch mal von Anfang: Du hast keine Lust mehr auf dein Catering? Ernsthaft? Auf was hast du Lust? Willst du deine kleinen Tonkatzen in einem Laden an die Touristen verkaufen? Ist es das? Sag, dass du das nicht im Sinn hast.«
»Warum nicht?« Ich nippe am Tee. Warm fließt er mir die Kehle hinunter. Eine Wohltat.
Alison sieht mich mit offenem Mund an.
»Trink«, fordere ich sie schmunzelnd auf. »Dein Tee wird kalt.«
»Tonkatzenladen …« Sie prustet los und es fehlt gerade noch, dass sie sich auf die Schenkel klopft.
»Vielleicht. Ehrlich gesagt: Ich habe keine Ahnung und abgesehen davon das dringende Bedürfnis, etwas völlig Neues zu machen.«
Fakt ist: All die Jahre hatte ich mich so darauf versteift, Calan für mich zu gewinnen, dass nichts anderes im Kopf Platz hatte. Danach hat sich schlagartig alles geändert. Seit Calan und Annie ein Paar sind, dümpelt mein Schiff irgendwie ziellos herum, und ich fühle mich von Tag zu Tag unwohler in meinem Leben, in meiner Haut. Das Herz lasse ich bei der Überlegung bewusst außen vor.
Alison lehnt sich zurück, die Tasse in ihren Händen, und schlägt ein Bein über. »Du musst einfach mal raus. Tapetenwechsel. Etwas tun, was du schon lange tun wolltest. Gibt es da was?«
Verblüfft richte ich mich gerade und sehe sie an. »Danke. Ja. Natürlich. Himmel, warum bin ich da nicht früher draufgekommen?«
»Prima. Wo solls hingehen? Australien? New York? Rio? Weltreise?«
»Viel besser! Creag Meagaidh.« Als ich den Namen des Berges ausspreche, hört es sich leicht zitternd an, so aufgeregt bin ich.
Im nächsten Moment legt sie mir ihre Hand an die Stirn. »Hm, kein Fieber.«
Völlig unter Strom über die von Alison spontan ausgelöste Erkenntnis, kann ich es kaum abwarten, den Weg zu gehen, den ich als Kind mit meinen Eltern so oft gegangen bin. Die Vorfreude lässt mich fast aufspringen. Schnell erkläre ich Alison, dass ich beabsichtige, mich zu der kleinen Lodge am Fuße des Creag Meagaidh aufzumachen, und dort ein paar Tage – vielleicht eine Woche – verbringen will. Mit diesem Ort verbinden mich nur glückliche Erinnerungen. Oh Gott, wie lange bin ich nicht mehr dort gewesen? Seit fünfzehn Jahren? Zwanzig? Wie traurig, dass ich meine Eltern nicht mehr fragen kann.
»Gib dir einen Ruck und begleite mich, Alison. Das wird sicher …«
»Bist du bescheuert? Es ist Winter! Da geht kein Mensch in die Highlands wandern.«
»Doch. Ich. Und es wäre toll, wenn jemand dabei wäre, der mich bemuttert, wenn ich mir den Fuß vertreten oder im Selbstmitleid versinken sollte. Keine Sorge, ich kenne mich dort aus und bin mit meinen Eltern zweimal im Winter dort gewesen.«
»Wer es mag … Aber mich bekommst du bei dieser Kälte und den Schneemassen niemals …«
»Und wenn ich ganz lieb frage und dir sage, dass ich mich ohne dich nicht traue? So ganz alleine den Wettergewalten ausgeliefert? Einsam und ohne …«
Seufzend beugt sie sich vor, stellt die Tasse ab. »Wann willst du los?«
»Morgen!«, strahle ich sie an.
»Du bist echt krank!«
»Mag sein. Aber ich habe mich die letzten Jahre nicht mehr so lebendig gefühlt wie in diesem Augenblick.«
Nach Luft schnappend, stütze ich mich mit einer Hand an der knorrigen Oberfläche eines Baumes ab. Die feuchte Atemluft kristallisiert sofort zu kleinen Eiszapfen in meinem Bart.
Der Winter in den Highlands kann verdammt kalt und grausam werden. Allerdings hat man in dieser Jahreszeit von hier oben eine fantastische Aussicht auf die einsame Landschaft.
Zwei, drei tiefe Atemzüge lang blinzele ich gegen die untergehende Sonne über die weichen Hügel ins Tal hinunter. An diesem Ort scheint die Zeit stillzustehen.
Wie auch immer, das Holz hackt sich nicht von alleine, und die letzten Scheite brennen schon im Kamin.
Eine Stunde später ziehe ich erhitzt die dick gefütterte Jacke aus und lege sie neben mich in den Schnee. Dann hauche ich in meine Hände, denn ich habe nicht an die Handschuhe gedacht.
Ein letztes Mal für heute umschließe ich fest den Stiel der Axt, presse die Lippen zusammen und fixiere den Holzklotz vor mir. Mit einem dröhnenden Schrei hole ich aus. Alle Kraft in meinen Armen gebündelt, saust die Axt auf das Holz und spaltet es in zwei Teile.
Geschafft. Ich blicke auf die Uhr. Jeden Moment wird mein treuer Butler Miles eintreffen. Hoffentlich hat er an das Brett für das Fenster gedacht. Eines fehlt. Auch wenn es Murphy anschließend nicht mehr möglich sein wird, die Lücke für spontane Ausflüge zu nutzen, muss ich sie schließen, damit das Haus nicht auskühlt.
Gedankenversunken sammele ich in der Dämmerung die Holzscheite um mich herum ein, werfe sie in einen großen Weidenkorb und lege die Jacke darüber.
Mit dem Fuß stoße ich die Tür von meinem Haus auf, das ich intuitiv Castle Beartas getauft habe. Schicksalsburg. Das trifft es verdammt genau.
Ich erschrecke kurz, als etwas Kleines, Schwarzes an mir vorbei in die Wärme des Hauses huscht.
»Hey, Murphy«, begrüße ich den streunenden Kater, der seit Einbruch des Winters bei mir Unterschlupf gefunden hat. »Hunger?«
Murphy stellt den Schwanz senkrecht auf und streicht mir fortwährend mauzend um die Beine. Also ein deutliches Ja.
Ächzend stelle ich den Korb neben dem offenen Kamin ab, werfe zwei Holzscheite ins Feuer und gehe hinüber zum Esstisch, befülle ein Schälchen mit Katzenfutter. Murphy springt ungeduldig auf den Tisch und macht sich darüber her.
»Keine Maus gefunden, hm?« Ich setze mich, sehe ihm beim Fressen zu und reibe die Hände aneinander. Es tut scheißweh, wenn die Finger wieder warm werden.
In das Knistern des Feuers mischt sich ein anderes, bekanntes Geräusch, das von den breiten Reifen meines Landrovers auf Schnee.
»So, Murphy«, sage ich und stehe auf. »Sehen wir nach, was Miles mitgebracht hat. Denn an Hogmanay gilt: Wer als Erster die Schwelle betritt, bringt Glück, den Whisky und ein paar nette Gaben mit. Zur Feier des Tages.« Der letzte Satz schlüpft mir mit einem spöttischen Unterton über die Lippen. Ich rede mit einem Tier, das sowieso nicht versteht, was ich sage!
Fahrig streiche ich mir mit der Hand über den Bart und eile hinaus, um Miles beim Ausladen zu helfen.
»Hey, hast du an das Brett gedacht?«, begrüße ich ihn.
»Mr Dunmore …« Schuldbewusst hält er inne. »Ich bin untröstlich …«
»Schon gut«, winke ich ab. »Auf eine Woche mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.«
Kurz darauf sind etliche Kisten mit Lebensmitteln und sonstigem Zeug, das ich in der Einsamkeit hier oben gut gebrauchen kann, entladen. Wie zum Beispiel Lampenöl, Streichhölzer und Whisky.
»Haggis? Dein Ernst?« Verwundert hebe ich den Topf aus einer Kiste und stelle ihn ab. Mir wäre heute tendenziell ein deftiger Braten lieber als Schafsmagen, gefüllt mit Herz, Leber und Nierenfett.
»Mein voller Ernst, Mr Dunmore. Am Neujahrsfest gibt es Haggis und Whisky. Darüber wird nicht diskutiert.«
»Ich halte mich an den Whisky.«
»Wie Sie meinen, Sir. Wo kommt der Tee hin?«
»Küche. Oberer Schrank ganz rechts«, murmele ich und muss über den Jahresvorrat an Earl Grey lächeln. Der Einzige, der Tee trinkt, ist Miles. Ihm zuliebe trinke ich gelegentlich einen mit.
Eine halbe Stunde später sitzen wir in den schweren Ledersesseln vor dem Kamin und halten die warmen Tassen in unseren Händen. Miles’ Tee ist mit Milch angereichert, meiner mit Whisky.
Kaum zu glauben, dass Miles erst vierzig ist. Aufgrund seines Verhaltens könnte man denken, er hätte die fünfzig bereits überschritten. Dabei ist er keine sechs Jahre älter als ich. Außerdem ist mir Miles inzwischen mehr als ein Butler. Eher ein Freund.
Er rührt Milch in den Tee, nippt daran und stellt das Glas auf der Untertasse ab. »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich Ihre Jeans und das Sweatshirt mitnehmen und waschen.« Er blickt mit gespitzten Lippen auf Murphy, der auf meinem Schoß liegt und wohlig seine Krallen in den Jeansstoff schlägt. »Und flicken ist wahrscheinlich auch nötig.«
Mir ist klar, dass wir nur um den heißen Brei herumreden. Der nächste Satz von Miles kommt daher nicht unerwartet.
»Ist es nicht Zeit, dass Sie die Haare kürzen, den Bart stutzen und – wenn ich schon dabei bin – nach mehr als einem Jahr in die Zivilisation zurückkehren?«
Das ist typisch Miles. Vor die eigentliche Frage etwas Belangloses schieben, damit sie an Schärfe verliert. Die Bemerkung zu den langen Haaren und dem Bart übergehe ich geflissentlich.
»Wieso?«, antworte ich schroff, stelle das Teeglas ab, und Murphy springt protestierend von meinem Schoß. »Gibt es Probleme in der Firma?«
Er dreht sich zu mir und sieht mich beschwörend an. »Steven fragt ständig nach. Verzeihen Sie bitte die offenen Worte, Sir, dennoch müssen Sie ihn und die Lage, in der er sich befindet, verstehen. Als Ihr eingesetzter CEO steht er in der Pflicht, Fragen nach Ihrem Verbleib beantworten zu können. Eine Auszeit auf unbestimmte Dauer …«
»Haben die Medien etwa ein Winterloch und müssen mich dafür herauskramen?!« Ungehalten stehe ich auf und stochere mit dem Schürhaken im Feuer.
Hinter mir höre ich Miles seufzen. »Nein, der Hype war ja schon nach einem halben Jahr vorbei. Die Frage entspringt einem anderen Grund.«
»Lass mich raten«, bemerke ich trocken. »Steven?«
»Ja. Mr Dunmore, Sir, auch wenn ich es zu meinem Bedauern wiederholt erwähnen muss. Darf ich ihm wenigstens mitteilen, wo Sie sich aufhalten, oder wenigstens, wann Sie gedenken, von sich hören zu lassen.«
»Völlig ausgeschlossen!« Mit einer energischen Bewegung stecke ich den Schürhaken in die Halterung und setze mich wieder. Die Ellenbogen auf den Knien abgestützt, starre ich ins Feuer. »Steven weiß, dass ich eine Auszeit genommen habe und er auf unbestimmte Dauer eingesetzt ist. Das muss reichen. Zu seinem eigenen Schutz. Wenn Steven sich verplappert, kriechen die Geier von ihren Ästen und löchern ihn, bis er nachgibt. Nein. Keine Chance. Du kannst dir vorstellen, was los ist, wenn die Medien erfahren, wo ich bin.«
»Ja, sie werden hier auftauchen und Sie interviewen wollen. Na und? Es gibt Schlimmeres. Sobald Sie zurückkehren, blüht Ihnen das sowieso. Bei der Gelegenheit möchte ich auf meine Frage zurückkommen: Wann gedenken Sie …?«
»Wenn es an der Zeit ist!«
Zu meiner Erleichterung greift er während des Essens das Thema nicht mehr auf. Wir plaudern über dies und das, ich erfahre, dass Miles versucht, dem Efeu den Garaus zu machen, der sich an der Nordwand meines Hauses am Rande von Fort William breitgemacht hat.
»Ich fürchte«, beginnt er mit sorgenvoller Mimik, »wir werden eine Firma beauftragen müssen, um die Spuren des Efeus endgültig zu entfernen.«
»Tu, was du für richtig hältst, Miles. Eine Bitte habe ich jedoch.« Satt lehne ich mich zurück und strecke die Beine aus. Das Kaminfeuer knistert, und die behagliche Wärme macht mich müde.
»Sir, es tut mir leid, dem Grünzeug eigenmächtig, ohne Sie vorher um Erlaubnis zu bitten, an den …«
»Das meine ich nicht.« Lächelnd beuge ich mich vor, greife zum Bierglas und hebe es an. »Miles, wir kennen uns nun schon so lange und du bist mir mehr ein Freund als ein Angestellter. Lass uns darauf trinken.«
Die Erleichterung breitet sich über Miles Gesichtszügen aus. Auch er hebt sein Glas. »Slainté, Mr …«
»Darran, bitte. Ab sofort.«
»Aber, Sir, ich …«
»Slainté, Miles.«
»Slainté … Darran.«
Wir trinken die Gläser leer, und bevor wir uns versehen, ist es auch schon kurz vor Mitternacht. Wie auch im vergangenen Jahr, ziehen wir unsere Jacken über, greifen uns jeder eine Flasche Whisky, wie das bei Männern zum Hogmanay eben Brauch ist, und gehen nach draußen.
Hier oben, im Niemandsland der nördlich gelegenen Berge, zwischen den Gipfeln des Creag Meagaidh und Meall Coire Choille-Rais ist vom Silvestertrubel der weit unter uns liegenden Ortschaften nichts zu spüren. Stille umgibt uns. Ich stehe neben dem Menschen, der seit über einem Jahr mein einziger Bezugspunkt zur Außenwelt ist, und verspüre große Dankbarkeit.
Miles blickt auf die Uhr. »Noch zehn …«
Ich stimme ein. »Neun. Acht. Sieben.«
Punkt Mitternacht singen wir den keltischen Ohrwurm Auld Lang Syne, der traditionell im Gedenken an die Toten des vergangenen Jahres sowie mit Blick auf die kommenden Stunden angestimmt wird. Bei der letzten Strophe, »Hier ist meine Hand, alter Freund, schlag ein mit der deinen. Und dann lass uns einen ordentlichen Schluck nehmen«, fassen wir uns gemäß dem Brauch an den Händen. Dann öffnen wir unsere Flaschen und wünschen uns ein frohes neues Jahr.
»Auf uns, Freund«, sage ich.
»Auf uns, Darran.«Zwei
»Ich mag nicht mehr!«
»Was?« Verwundert bleibe ich stehen. »Nach einer Stunde schon? Drücken dir die Schuhe?«
»Nein«, mault Alison und hängt die Daumen in den Brustgurt des Rucksacks. »Deine Wanderschuhe passen, zum Glück haben wir die gleiche Größe. Aber hey … du wolltest wandern, zu einer Hütte. Und was tun wir? Wir marschieren in einem Affenzahn eine dämliche Landstraße entlang! Sehr erhebend.«
Peinlich berührt, winde ich mich um die Antwort herum. »Es ist nicht mehr weit. Hoffe ich.«
»Hoffst du?« Alison zieht die Brauen hoch und tippt sich an die Stirn. »Wo ist deine tolle Lodge? Dritter Baum auf der A86 am Loch Laggan rechts hoch, oder was?«
»So ungefähr«, gebe ich knirschend zu, denn ich erinnere mich nur daran, dass ich als Kind bei meinen Eltern im Auto hinten saß und mein Vater auf ein Schild zeigte, auf dem »Creag Meagaidh, National Nature Reserve« stand, und sagte: »Wenn wir hier hochlaufen würden, kämen wir auf direktem Weg zur Dhachaigh Lodge.«
»So ungefähr?! Definiere ungefähr, bitte. Oh Mann, das muss ich mir echt nicht geben! Ich habe nur noch eine Woche frei und …« Sie marschiert los, und ich schließe auf. Will sie doch weiter? Ich hätte erwartet, dass sie umdreht. Genau das sage ich ihr auch.
Alison lacht auf. »Aufgeben? Niemals. Jetzt sind wir hier und gehen zu deiner verdammten Lodge. Zu Hause würde ich sowieso nur an den elenden Job denken, der mich ankotzt. Also lass uns weitergehen und das tun, weswegen wir hier sind: uns neu orientieren und überlegen, wie es bei dir mit dem Cateringservice und bei mir mit meinem Job weitergeht.«
Ich frage mich, ob ich auf ihren Job näher eingehen soll, lasse es jedoch sein. Ich weiß auch so, dass Alison, die eigentlich als Redakteurin eingestellt war, inzwischen mehr am Schreibtisch sitzt, als ihr lieb ist, und mehr statistische Daten als redaktionelle Artikel in den PC hämmert. Das Thema möchte ich lieber nicht aufgreifen, sonst würde sie wahrscheinlich explodieren. Und das tut sie oft genug, das ist eben ihr Temperament.
»Karriere! Pah!«, stößt sie aus. »Der Arsch gibt die Aufträge allen anderen, nur mir nicht. Ihm passt meine Nase nicht.«
»Warum hat er dich überhaupt eingestellt?«
»Hat er nicht. War sein Vorgänger.«
»Oh.«
»Ja, oh!«
Eine Weile marschieren wir auf der ausgestorbenen Landstraße nebeneinanderher, und ich fürchte, meine Erinnerung hat mir einen Streich gespielt. Ich habe keine Ahnung, an welcher Wegmarke dieses verdammte Schild steht. Eine blöde Idee von mir, in Kinloch Laggan zu parken und von dort aus loszulaufen. Aber auf der Karte hat es alles irgendwie nicht so weit ausgesehen. Zähneknirschend starre ich auf den grauen Asphalt vor mir und denke tatsächlich darüber nach umzukehren.
»Da ist ein Schild«, sagt Alison in meine Gedanken hinein.
Abrupt bleibe ich stehen. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Erleichtert atme ich auf, denn ich sehe auch den schmalen, jetzt vom Schnee bedeckten Pfad, der seitlich des Schildes zwischen den blattlosen Laubbäumen nach oben führt. Ab hier wird der Weg beschwerlich.
»Willst du noch hoch?«
»Und wenn ich jetzt sagen würde: ›Nein, lass uns umkehren‹?«
»Dann kehren wir um.«
Alison sieht mich prüfend an, und einmal mehr habe ich das Gefühl, dass ich etwas forscher sein sollte, bestimmender. Aber ich möchte sie auch nicht nötigen. Schließlich unterwirft sie sich nur meinetwegen der nicht gerade einfachen Wanderung. Andererseits, sie ist ja freiwillig mitgekommen. Also …
»Gehen wir«, sagt sie und marschiert los.
Die Sonne schickt ihre wärmenden Strahlen durch die aufbrechende Wolkendecke, und der harte Schnee knirscht unter unseren Füßen. Was bin ich froh, dass es die letzten Tage nicht geschneit hat. In hohem Neuschnee zu stapfen ist wesentlich anstrengender.
Nach einer Stunde stehen wir erneut vor einem Schild.
»Das kenne ich gar nicht?! Als ich hier war, gab es das noch nicht«, sage ich entschuldigend und fühle mich schlecht. Was mute ich meiner Freundin nur zu?
Alison liest laut vor, und ihre Stimme trieft vor Spott:
Warnung!
Radweg steigt auf 457 m an!
Die Wetterbedingungen verschlechtern sich ohne Vorwarnung und können auch im Sommer stark sein.
Keine Verpflegung oder Unterkunft für 30 km.
Keine Schneeräumung oder Streuung auf der Fahrradstrecke.
»Öhm«, bemerke ich verdutzt.
Alison stellt sich zwischen das Schild und mich und sieht mich mit einem Blick an, der eigentlich sofortige Schneeschmelze herbeiführen müsste. »Keine Unterkunft für 30 Kilometer? Echt jetzt?«
»Kann nicht sein«, antworte ich halbherzig. »Die Lodge war schon damals ein Geheimtipp. Vielleicht ist das immer noch so?«
»Geheimtipp …«
So langsam packt mich die Wut. »Ja, genau. Also lass uns weiterlaufen. Und zwar nicht diesen Weg, der wohl neuerdings ein Radweg ist, sondern den da.« Ich deute auf einen schmalen Weg, der kaum zu erkennen ist, so zugeschneit ist er. Ich erinnere mich, dass wir damals vom Hauptweg abgewichen sind. Und da hier sonst nichts zum Abweichen ist, muss es dieser sein.
Gerade will ich losmarschieren, als Alison mich am Arm packt. »Moment mal.«
Mit der anderen Hand fischt sie ihr Handy aus der Tasche an der Jacke und tippt darauf herum. »Keine Hütte. Hier, sieh selbst.«
Die Augen zu Schlitzen verengend, studiere ich das kleine Display. »Stimmt. Die war noch nie eingezeichnet. Wie gesagt, Geheimtipp. Können wir endlich weiter, oder möchtest du noch eine Glaskugel befragen?«
Eine Stunde stapfen wir bergauf, klettern über quer liegende Baumstämme und springen über gefrorene Pfützen. Hinter mir keucht Alison, und ich hoffe, dass wir bald die Lichtung erreichen, auf der sich die Dhachaigh Lodge befindet. Ich freue mich wie ein Kind auf den Anblick der hübschen, kleinen Lodge, die, eingerahmt von Tannen, malerisch vor einer Steilwand auf uns wartet.
Keine zehn Schritte weiter haben wir unser Ziel erreicht.
Schlagartig stülpt sich die Enttäuschung über mich. Meine Kindheitserinnerung wird plötzlich und absolut unerwartet zerstört. Ich bin so perplex, dass es mir die Sprache verschlägt. Wie paralysiert starre ich auf das verfallene Holzhaus. Es sieht aus, als würde der nächste Windstoß es zusammenbrechen lassen. Immer wieder lese ich die Worte auf dem Schild an der Tür, das zu einer Seite herunterhängt: »Keep out! Privat!«
»Na, toll!« Alison schließt zu mir auf. »Schätze, dein Geheimtipp war wohl so geheim, dass niemand mehr davon wusste.«
Ich hoffe, der Anfang des Romans hat dir gefallen, und du bist jetzt neugierig, wie es weitergeht.
Deine
Jo Berger
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