Leseprobe
Eine Frau braucht von Zeit zu Zeit einfach mal eine ordentliche Dosis Testosteron.
Da hat es ein arroganter Vornehmtuer schwer. Ein sensibler Frauenversteher im Feinrippslip mit Eingriff auch. Zumindest bei mir. Ich schätze, ich bin definitiv nicht der Typ für Dating-Apps.
Aber ich sollte mich mit positiven Dingen beschäftigen und weniger darüber nachdenken, was nicht ist, was sein könnte und warum mir anscheinend das Wort Deppenmagnet permanent auf der Stirn geschrieben steht.
Positives, bitte. Ganz aktuell ist das warmer Earl Grey in einer alten, bauchigen Tasse mit Blümchenmuster, deren Henkel schon mal geklebt wurde. Grandmas Lieblingstasse. Der Tee verströmt ein sehr wohltuendes Aroma und jede Menge Dampf in der kalten Luft.
Ich sitze auf der wackeligen Holzbank vor einem winzigen Cottage, unter meinem Hintern ein aufblasbares Kissen, damit ich nicht festfriere. Mit beiden Händen umfasse ich die Tasse, nehme einen Schluck und starre auf den verschneiten Bootssteg. Der ist noch maroder als das kleine Haus aus Stein. Wenn es heute Nacht erneut so stark schneit wie letzte, bricht er höchstwahrscheinlich unter der Last des Schnees endgültig zusammen.
Seit Grandma im Sommer ihre letzte Reise angetreten hat, bin ich im Besitz eines charmanten, aber ziemlich maroden Häuschens. Immerhin hat es eine absolut traumhafte Alleinlage unterhalb des Berges Ben Nevis direkt am Fluss. Die Entscheidung, ob ich es selbst bewohnen oder vermieten werde, treffe ich zu gegebener Zeit. Noch kann ich mich allerdings wenig mit der Vorstellung anfreunden, hierher zu ziehen. Vielleicht nutze ich es auch als Ferienhäuschen.
Die letzten Wochen habe ich einige Möbel von Grandma verkauft und entsorgt sowie ein paar Erinnerungsstücke in Kisten verpackt und in der Kammer gestapelt. Und ab übernächsten Donnerstag habe ich endlich vierzehn Tage Urlaub. Mein Plan: Ich verschaffe mir einen umfassenden Gesamtüberblick über alle notwendigen Reparaturen und starte die Renovierung.
Allerdings … Allein der erste Blick in die Räume hat mich bereits überfordert. Wo fange ich nur an? Bei den Tapeten im Schlafzimmer, den Fenstern, dem völlig veralteten Badezimmer, dem Fußboden? Den Elektro- und Wasserleitungen, der Heizung? Ich muss einen detaillierten Plan aufstellen. Unbedingt.
Aber jetzt erst einmal etwas Warmes trinken, bis das Holz im Kamin das Innere des Hauses zumindest ein bisschen aufgewärmt hat.
Kaum zu glauben, dass es schon fast fünf Jahre her ist, als ich von meinem Geburtsort Dumfries ins mehr als drei Stunden entfernte Fort William gezogen bin. Ich wollte nur noch weg von diesem Ort, mit dem mich eine Reihe schlechter Erinnerungen verbindet.
Und alle haben sie mit Verlust zu tun.
Das Elend fing an, als meine Mutter überfahren wurde. An einem Samstag. Mom ist mit mir in die Stadt gefahren, um Winterstiefel zu kaufen. Zweimal im Jahr, im Frühling und zu Beginn des Herbstes, bekam ich neue Schuhe. Ein besonderer Tag für mich, denn wir hatten nicht viel.
Mein Vater verdiente als Fabrikarbeiter gerade mal das Nötigste, um zu überleben, und unser kleines Haus zerfiel zusehends. Aber es war ein Zuhause. Behütet, kuschelig und voller Liebe.
Bis zu dem Tag, an dem Mom mich zurückriss, als wir die Straße überquerten – und sie von dem Transporter erfasst wurde. Ab da hat sich alles geändert. Dad hatte sich nie von dem Verlust seiner großen Liebe erholt und verfiel mehr und mehr in seine Depression.
Damals hatte ich eine beste Freundin. Erin. Sie hatte noch vor mir einen festen Freund. Ich hatte keine Zeit für Jungs, denn ich musste Geld verdienen. Dad war dazu nicht mehr in der Lage.
Ich habe meinen Traum begraben, Landschaftsarchitektur zu studieren, und irgendwelche Jobs angenommen, die uns über Wasser hielten. Nach und nach haben wir sogar die Besuche bei Grandma eingestellt, die in der Nähe von Ballachulish ganz allein ein kleines Cottage am Loch Leven bewohnte, weil selbst für die Fahrt zu ihr das Geld fehlte.
Es ist das Haus, vor dem ich sitze.
Der nächste Schicksalsschlag trat kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag ein, ein paar Tage vor Erins Jahrestag mit ihrem Ian.
Ach, wäre sie diesem Kerl doch niemals begegnet … Ein schwerer Stein manifestiert sich erneut in meiner Brust, als ich mich daran erinnere, wie oft ich versucht habe, sie davon zu überzeugen, diesen miesen Typ zu verlassen. O sie war so blind gewesen. Blind vor Liebe zu einem Mann, der sie geschlagen hatte. Blind und gutherzig, wenn er sich wieder unter Tränen entschuldigt hatte und ihr Blumen oder kleine Geschenke mitbrachte. Bis zum nächsten Mal.
Ich hätte mehr tun müssen! Helfen müssen!
Selbst jetzt noch, über zehn Jahre später, quält mich die Frage, ob ich hätte energischer sein sollen. Mutiger, beherzter.
Ob ich ihr damit das Leben gerettet hätte? Ja, verdammt!
Der Gedanke an den Tag, als ich sie in ihrer kleinen Einzimmerdachwohnung besucht hatte und sie endlich so weit war, Ian zu verlassen, schmerzt immer noch. Wieder tauchen Bilder vor meinem inneren Auge auf. Szenen, in denen der betrunkene Kerl plötzlich wutentbrannt in ihre Wohnung stürmte, sich mit Erin ein Wortgefecht unter der Gürtellinie lieferte, der Moment, als er ihr mit der Faust ins Gesicht schlug, rasend vor Eifersucht. Er hatte überhaupt nicht zugehört, was Erin versuchte zu sagen, nur gebrüllt, dass sie schuld an seinem Misstrauen sei.
Solche Menschen kennen keine Logik.
Dann ein weiterer Schlag in Erins Gesicht. Ich bin dazwischen gestürmt, doch er hat mich beiseite gefegt, als wäre ich ein lästiges Insekt. Ein spitzer Schrei, Erins Sturz. Das schreckliche Geräusch, als ihr Kopf auf den Rand des Glastisches knallte. Die Stunden danach im Krankenhaus. Der Blick ihrer Mutter, als der Arzt ihr mitteilte, dass ihre Tochter es nicht geschafft hatte. Dieser unsägliche Schmerz in ihren Augen.
Und ich habe nichts tun können. Nichts! Rein gar nichts!
Herzen können so oft brechen …
Der Typ ist zwar ins Gefängnis gekommen und nach drei Jahren bei einem Streit mit anderen Insassen erstochen worden. Aber das bringt Erin auch nicht mehr zurück.
Damals habe ich geschworen, dass kein Mann jemals Hand an mich legen würde. Niemals würde ein Kerl es schaffen, mich zu verprügeln! Niemals! Ich würde mich zu wehren wissen.
Kurz darauf habe ich Krav Maga für mich entdeckt. Eine israelische Selbstverteidigung, ziemlich effektiv, wenn es gilt, ein Gegenüber schnell und gezielt außer Gefecht zu setzen. Damals ist dieser Kampfsport nicht sehr verbreitet gewesen und ich bin mit dem Fahrrad dreimal die Woche eine Stunde einfach zum Training gefahren – bei jedem Wetter. Aber das hat mich nur stärker gemacht.
Vor fünf Jahren schließlich ist mein Vater gestorben und ich bin in die Nähe von Grandma nach Fort William gezogen. Ich wollte nur noch weg aus Dumfries, raus aus den Erinnerungen, die in jeder Ritze des Hauses wohnten. Der Verkauf meines Elternhauses hat nicht sonderlich viel eingebracht, weil es in einem erbärmlichen Zustand war. Anfangs habe ich mich mit Gelegenheitsjob über Wasser gehalten und in einem Ferienzimmer so groß wie eine Hundehütte gehaust. Eigentlich hätte ich gern mit Grandma zusammengewohnt, aber ihr Cottage hat leider nur eine Wohnstube mit integrierter Küchenzeile, einen offener Kamin, ein Schlafzimmer sowie ein winziges Bad.
Letztendlich habe ich einen Job als Sekretärin gefunden und in einem Pub Alison kennengelernt. Sie suchte eine Mitbewohnerin. Seitdem bewohnen wir zusammen eine hübsche Drei-Zimmer-Wohnung in einem efeubewachsenen Haus nicht weit vom Zentrum der Stadt entfernt. Und mein Mietanteil kostet kaum mehr als das Minizimmer, das ich vorher behaust habe.
Das größte Glück ist jedoch, dass es hier eine Krav-Maga-Schule gibt, ich mein Hobby weiter ausüben kann und nicht ewig weit fahren muss. Denn der Sprit wird immer teurer. Vielleicht sollte ich mir ein kleineres Auto zulegen, der Pick-up frisst viel Benzin. Aber ich brauche ihn. Zum Beispiel, um Baumaterial für das Cottage zu transportieren. Das spart Lieferkosten.
Wie auch immer – es ist beruhigend, ein bisschen Geld als Rücklage zu haben. Man weiß ja nie, was kommt. Eine größere Autoreparatur, Steuernachzahlung, die Renovierung eines geerbten Cottages …
Also dann, rumsitzen bringt mich auch nicht weiter. Es gibt viel zu tun.
Ich nehme den letzten lauwarmen Schluck Tee und gehe ins Haus.
Inzwischen ist der Raum so warm, dass ich meine Jacke ausziehen kann. Zur Sicherheit lege ich noch ein Holzscheit nach. Dabei streift mich der Gedanke, ob ich tatsächlich Lust habe, mich ein weiteres Mal mit diesem blasierten Snob John zu treffen.
Er ist jemand, der sich aufgrund seines Vermögens und seiner gesellschaftlichen Stellung anderen überlegen fühlt. Wie würde er reagieren, wenn ich fragen würde, ob er mir bei der Renovierung hilft? Ich lache leise in mich hinein. Vermutlich würde er das Gesicht verziehen und sich mit Desinfektionsmittel bewaffnen. Und noch wahrscheinlicher ist es, dass er nicht mal den Unterschied zwischen Messband und Winkelmesser weiß. Einer wie John macht sich nicht die Finger schmutzig, er hat für alles seine Schergen. Dafür kann er mit Sicherheit jede einzelne Nobelkarosse des letzten Jahrhunderts mit Baujahr und aktuellem Wert aufzählen und mir verraten, welche Aktien zurzeit besonders viel Gewinn versprechen.
Nicht meine Welt.
Auf dem Kragen schmelzen die Schneeflocken.
Ich ziehe den Mantel aus, hänge ihn an den Garderobenständer und betrete die lichtdurchflutete Büroetage von Finlay Douglas, dem Kopf von Douglas&Sons, das größte Bauunternehmen Schottlands mit Sitz in Fort William.
Das ist mein letzter Termin diese Woche. Ich freue mich auf morgen. Wahrscheinlich werde ich den ganzen Samstag einfach nur faulenzen und den Tag im Sessel vor dem Kamin verbringen. Okay, ein bisschen Sport gegen das schlechte Gewissen schadet nicht. Eine kleine Joggingrunde am Fluss entlang, bevor ich den gemütlichen Teil des Wochenendes einleite.
Douglas steht von seinem Schreibtisch auf, schüttelt mir mit einem strahlenden, kundenbezogenen Lächeln die Hand und deutet auf eine edle Sitzgruppe. »Bevorzugen Sie es locker-leger oder nehmen Sie lieber am Besprechungstisch Platz, Mr McNee?«
Um mich von seinen weißen und unnatürlichen Zähnen abzulenken – ganz klar Veneers –, blicke ich mich kurz um. Ein Sofa aus hochwertigem, schwarzem Leder, zwei passende Sessel mit Chromgestell dazu, dazwischen ein quadratischer Glastisch. Sogar die Blumenvase mit einem frischen Gesteck darin fehlt nicht.
»Ein sehr geschmackvolles und geräumiges Büro, Mr Douglas«, antworte ich, stelle meine Aktentasche neben einen der sechs Stühle, und knöpfe mein Sakko auf. »Lassen Sie uns einen eventuellen Auftrag gern am Besprechungstisch erörtern.«
»Natürlich, Mr McNee, wie es Ihnen genehmer ist.« Er nickt mir zu. »Und danke schön, die Gestaltung dieses Raumes habe ich meiner Angestellten zu verdanken. Sie beweist ein gutes Händchen für Farben und … Proportionen.« Beim letzten Wort verzieht er süffisant das Gesicht.
Alles klar. Mit Proportionen hat er sicherlich weniger die Büroeinrichtung gemeint als eher gewisse Formen seiner weiblichen Angestellten. Ich übergehe eloquent diese billige Zweideutigkeit. Sein leises, heiseres Lachen fasert ins Leere und er hüstelt sich in die Hand.
»Kaffee oder Tee, Mr McNee? Ein Mineralwasser?«
»Wasser genügt. Vielen Dank.«
Kaffee hatte ich heute Morgen zur Genüge.
»Sehr gerne. Für mich wird es Zeit für einen Tee und ein wenig Gebäck. Die Tradition … Sie verstehen.«
»Natürlich«, sage ich schmunzelnd. »Bei mir zu Hause wird ebenfalls großen Wert auf den Nachmittagstee gelegt.«
»Sie trinken Tee?« Verwundert sieht er mich an und öffnet eine Flasche Mineralwasser.
»Warum sollte ich das nicht tun?«
»Nun, ich dachte, Mr McNee von McNee Coffee&Cups ist ein eingefleischter Kaffeetrinker.«
Ich lächle. Aha, er hat recherchiert. Daher auch die glänzenden Augen in Anbetracht eines fünf- oder eher sechsstelligen Umsatzes, sollte er heute einen Auftrag von mir erhalten.
»Nur, weil ich Stew liebe, finden trotzdem noch andere Nahrungsmittel meine Aufmerksamkeit. Lassen Sie uns zum Gegenstand unseres Treffens kommen.« Ich sehe auf die Uhr. »Meine Zeit ist heute leider knapp bemessen. Zudem ist die Verkehrslage aufgrund der ungewöhnlichen Schneemenge etwas stockend.«
»Natürlich. Wenn Sie gestatten … Warten wir noch einen kurzen Moment, bis der Tee serviert wird. Miss Ruswell müsste ihn gleich bringen.«
Während Douglas ein Glas Mineralwasser für mich einschenkt, beobachte ich ihn. Er ist mir seit seiner schmierigen Bemerkung bezüglich weiblicher Proportionen etwas unsympathisch. Dazu die Veneers und die blonden Haare mit dem leichten Rotstich. Man sieht ihnen die Färbung deutlich an. Wahrscheinlich übertüncht er damit ein eigentlich attraktives Grau. Typischer Fall von Mann, der mit Mitte sechzig die Jugend zurückholen will.
Allerdings bin ich nicht hier, um über psychologische Abhandlungen älterer, erfolgsverwöhnter Männer zu sinnieren. Mir ist es gleichgültig, wie er drauf ist und ob er seine Mitarbeiterinnen vögelt oder nicht. Douglas&Sons ist die erste Adresse, wenn es darum geht, eine in Teilen zerfallene Ruine in ein Schmuckstück zu verwandeln. Eine Sparte des Konzerns ist auf Restaurierung, Wiederherstellung und Ausbau alter Gemäuer spezialisiert. Genau das brauche ich. Und ein McNee engagiert nur die Besten.
Innerlich aufseufzend nippe ich am Wasser. Voraussichtlich wird mich dieses Vorhaben nicht nur viel Zeit, auch ein Vermögen kosten. Aber das ist es mir wert. Ich will innovative Ideen bezüglich des Wiedererstrahlens von Castle Dunroban, keine plumpvertraulichen Bemerkungen über das weibliche Geschlecht.
»Und? Wie gefällt Ihnen Fort William?« Offensichtlich will er die Zeit bis zum Tee überbrücken.
»Der Ort ist mir ja nicht unbekannt, schließlich wohne ich nur eine knappe halbe Stunde von hier.« Etwas genervt lockere ich den Knoten meiner weinroten Krawatte und ziehe die Mappe mit den Fotografien von Castle Dunroban aus der Aktentasche.
Ein traurigschöner Anblick. Verlassen, teilweise mit eingestürzten Mauern und ein Hort für Vögel und Vagabunden fristet es ein unwürdiges Dasein. Es wird Zeit, das alte Gemäuer wieder in seinem alten Glanz erstrahlen zu lassen. Jedoch bin ich mir unsicher, welcher Verwendung ich das Castle zuführen werde. Diesbezüglich erhoffe ich mir von Douglas Input.
Die Tür öffnet sich und ich höre eine warme, dunkle Frauenstimme.
»Ihr Tee, Mr Douglas.«
Nun bin ich gespannt, wie das Gesicht zu der Stimme passt. Da ich mit dem Rücken zur Tür sitze, sehe ich nicht, wie diese Miss Ruswell aussieht. Ob das die Frau mit den von Douglas erwähnten Proportionen ist? Sieht so aus. Der gierige Ausdruck in Douglas’ Augen gibt Grund zu dieser Annahme. Aktuell habe ich jedoch nur im Sinn, dass sie schnellstmöglich ihrem Boss die Tasse vor die Nase stellt. Zeit ist Geld. Aber diese Stimme … wie geschaffen, um obszöne Worte in mein Ohr zu hauchen.
Als die Dame auf meiner Höhe ist, nehme ich ihren Duft wahr. Wow! Dieses Aroma strömt Eleganz, Sinnlichkeit und etwas Verführerisches aus, das mich trotz Ungeduld innehalten und den Kopf in ihre Richtung drehen lässt.
Der Mann in mir registriert in Sekundenbruchteilen: Stimme erotisch, Duft ebenso. Wenn jetzt noch … Sie steht dicht neben mir. Unwillkürlich drehe ich meinen Kopf und mein Blick fällt auf einen weinroten, eng anliegenden Pullover. Ich hebe den Blick, doch zu meinem Bedauern wendet sie sich in diesem Moment ab. Mich scheint sie gar nicht wahrzunehmen.
Oder zu ignorieren. Was das Ganze noch um ein Vielfaches interessanter macht. Leicht zu erlegende Beute ist reizlos.
Zu gerne würde ich mich umdrehen und einen Blick auf ihre Rückseite werfen, doch dazu bin ich zu sehr Geschäftsmann. Vielleicht ergibt sich am Ende des Meetings Gelegenheit, sie vollumfänglich in Augenschein zu nehmen und eventuell ein, zwei Worte mit ihr zu wechseln.
Die nachfolgenden Stunden bleibt kein Gedanke mehr an schöne Frauen – nur an alte Gemäuer. Gemeinsam betrachten wir die Fotografien meines Castle, und brainstormen Möglichkeiten durch, wie man Castle Dunroban zu neuem Leben erwecken könnte. Douglas hat einige recht innovative Ideen. Leider springt jedoch bei keiner der berühmte Funke über. Immerhin haben wir bei essenziellen Punkten ähnliche Ansichten.
»Die meisten Fans und Burgbesitzer wollen an der alten Substanz nichts bis wenig verändern«, erklärt er. »Schließen Sie moderne Anbauten von vornherein aus, Mr McNee?«
»Kommt ganz darauf an«, erwidere ich. »Man muss nicht aus jedem Castle ein Freilichtmuseum machen. Sie sind vor allem eins: Gebäude, die genutzt werden wollen und sollten. Dafür sind sie errichtet worden. Also warum nicht machen, wofür sie gebaut wurden?«
»Völlig korrekt. Der ursprüngliche Charme kann trotzdem erhalten werden und somit wird der Historie nicht zwangsläufig der Garaus gemacht. Ganz im Gegenteil.«
Nachfolgend rauchen unsere Köpfe geradezu aufgrund der Fülle an Ideen, die von Gourmettempel über Veranstaltungslocation, Musikschule und exklusiven Wohnraum geht. Wir vereinbaren zwei Ausarbeitungen mit Kostenvoranschlägen für die Sanierung sowie den Umbau in eine Eventlocation in großem Stil und ein Restaurant in Verbindung mit einer Whiskykellerei. Zuvor jedoch soll er mir den ersten Entwurf der Außenansicht zeigen, sobald er ihn fertiggestellt hat. Findet dieser meine Zustimmung, können wir fortfahren.
Step by step, nichts überstürzen.
Douglas steht auf und schüttelt mir die Hand. »Mr McNee, seien Sie sicher und voller Vertrauen, dass unsere Interventionen in Bezug auf das äußere Erscheinungsbild von Dunroban Castle sich als zusätzliche Ebene verstehen, die das Alte nicht überdeckt, sondern sich unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes harmonisch und in moderner Weise hinzugesellt. Ich denke, bis kommenden Mittwoch kann ich Ihnen bereits einen ersten Entwurf vorlegen. Dann sehen wir, in welche Richtung es gehen kann. Sechzehn Uhr?«
Ich stimme zu, bin voller Eindrücke und positiv gestimmt.
Zufrieden mit dem Ergebnis der Zusammenkunft verlasse ich das Büro – und schlagartig wird mein Blick von der Frau angezogen, die gerade mit unglaublich geschmeidigen Bewegungen zu einem Fenster schlendert und einer Minipalme Wasser gibt. Ich gönne mir einen Moment, diese heiße Lady mit herbstlaubrotem Haar genauer in Augenschein zu nehmen.
Jesus, was für ein Prachtweib! Mit einer Hand am Mantel starre ich auf ihren prallen Hintern, der von der eng anliegenden, schwarzen Jeans perfekt in Szene gesetzt wird. Schmale Taille, wohlgeformte Hüften, lange Beine, schwarze High Heels.
»Mr McNee? Kann ich noch etwas für Sie tun?«, ertönt neben mir eine Stimme.
Douglas. Er muss hinter mir das Büro verlassen haben, ohne dass ich es wahrgenommen habe.
Ja, können Sie. Die Telefonnummer dieses Herbstlaubwunders, bitte.
»Danke, nicht nötig.« Ich reiße nur ungern meinen Blick von dieser Frau los. »Die Aussicht aus dem Fenster auf den Loch Linnhe ist übrigens fantastisch. Ihre Firmenräume befinden sich in einer sehr exklusiven Lage.«
Erst jetzt merke ich, dass es aufgehört hat zu schneien, die Sonne durch die Wolkendecke gebrochen ist und ihre Strahlen leuchtende Reflexe auf die zu einem lockeren Knoten gebundenen Haare von Miss Ruswell werfen. Ein Griff, und die Mähne würde lang und wallend über ihre Schultern fallen …
»O ja. Diese Aussicht bewundere ich auch ganz oft.« Der Ton in Douglas’ Stimme lässt keine Zweifel, wen er damit meint. »Darf ich Sie zur Tür bringen?«
»Sehr freundlich, aber ich finde allein hinaus. Danke«, antworte ich fahrig, stelle die Aktentasche ab und schlüpfe – langsamer als sonst – in meinen Mantel.
»Gut, gut. Oh, ich sehe, Ihr Kragen ist feucht, wahrscheinlich vom geschmolzenen Schnee. Da drüben ist die Küche, sie könnten …«
»Ach, das bisschen Schnee macht dem Mantel nichts.« Ich winke ab.
Wir verabschieden uns und er verschwindet wieder im Büro. Ich dagegen überlege, vor dem Verlassen der Büroräume doch einen kleinen Umweg über die Küche zu nehmen und den Mantelkragen mit einem Tuch zu trocknen – obwohl das absolut entbehrlich wäre. Was mich stört, ist, dass ich diese Frau nur von hinten sehe und die Neugierde mir einfach keine andere Wahl lässt.
Ihr Duft, ihre geschmeidigen Bewegungen, die Art, wie sie sich leicht vornüberbeugt, um von einer anderen Pflanze vertrocknete Blätter abzuzupfen … Gerade so, als wüsste sie, dass ich außerstande bin, meinen Blick von ihr zu lösen. Ein höllisch scharfes Weib – aber höchstwahrscheinlich keine Frau, auf die ich mich länger einlassen würde. Zu rot, zu schwarz, zu offensichtlich aufreizend. Allerdings … Ich atme tief durch … Sex pur!
In der Mitte meines Körpers regt sich etwas. Mist, aber das ist ja zu erwarten gewesen, schließlich bin ich auch nur ein Mann.
Ausgesprochen unwillig reiße ich mich von dem Anblick der rothaarigen Schönheit los. Mehr noch: Um meiner spontanen Erregung entgegenzuwirken, zwinge ich mir den Gedanken auf, dass ein Blick auf ihre Vorderseite alle Illusionen schlagartig zerstören könnte. Vielleicht hat sie schiefe Zähne oder zusammengewachsene Augenbrauen oder eine zum Gesicht völlig unpassende Nase?
Es funktioniert. Entschlossen, mich nicht vom Gegenteil überzeugen zu lassen oder mich diesem ernüchternden Risiko rein zufällig auszusetzen, greife ich die Aktentasche und verlasse die Räume von Douglas&Sons.
Ohne Umweg über die Küche.
Bevor ich jedoch den Heimweg antreten kann, müssen noch zwei Kleinigkeiten besorgt werden. Erstens ist mir mein Rasierwasser ausgegangen und zweitens habe ich Mom versprochen, ihr einen Blumenstrauß mitzubringen, wenn wir uns nachher beim Diner sehen. Sie liebt den Frühling und seine Farben. Darauf möchte sie auch im Winter nicht verzichten.
~ Ende der Leseprobe ~
Ich hoffe, der Anfang des Romans ONLY SINCE I LOVE YOU – HIGHLAND DESTINY hat dir gefallen, und du bist jetzt neugierig, wie es weitergeht.
Deine