XXL-Leseprobe

Band 1 von 4 der Himmelreich Reihe, Staffel 2

Hinweis: Auch ohne die erste Staffel gelesen zu haben, können Sie mit der zweiten Staffel der Reihe beginnen.
Jeder Roman der Reihe enthält eine in sich abgeschlossene Liebesgeschichte.

Leseprobe „Himmelreich mit Herzklopfen“


Ich bin so dämlich wie zehn Meter Feldweg! Was will ich hier? Schnapsidee! Eindeutig!
Ich gehe vom Gas und tuckere durch eine Einöde, die selbst nach einer Stunde Fahrt noch einödig ist. Und jetzt beginnt es auch noch zu regnen. Nein, das trifft es nicht ganz, schütten passt besser.
Das Einzige, was ich noch mehr hasse als Autofahren bei Starkregen, ist Autofahren in unbekannten Gegenden ohne funktionierendes Navigationsgerät. In einem Moment der Verzweiflung schlage ich mit der Hand auf das Lenkrad und ärgere mich über diese total hirnrissige Entscheidung, aufs Land zu ziehen. Olaf hustet kurz, wird von alleine langsamer, hustet erneut und fährt schließlich, ohne zu mucken, weiter.
»War nicht so gemeint«, sage ich und streichle kurz über den Schalthebel. So ein Auto ist ja auch nur ein Mensch. Ich erweitere die Liste um »Am Ende der Zivilisation mit einer Nuckelpinne unterwegs sein, die beim bloßen Hinsehen mit den Stoßdämpfern ächzt«. Doch es hat seinen Grund, warum ich eine altersschwache Blechbüchse fahre: Weil ich sie in Frankfurt so gut wie nie gebraucht habe, sie mir sowieso niemand abkaufen würde und ich es nicht übers Herz bringe, Olaf verschrotten zu lassen. Außerdem gibt es nicht mal eine Zugverbindung nach Himmelreich.
»Halloho … Es ist Juli! Also Sommer! Sommer!«, brülle ich das Armaturenbrett an. »Da ist es warm und sonnig. Sonnig, verdammt!«
Seit über vier Stunden bin ich auf der Straße, habe erst einen Kaffee getrunken und ein Käsebrötchen gegessen. Ohne den Blick von der Straße zu wenden, wühle ich mit der rechten Hand in der Handtasche auf dem Beifahrersitz und ziehe einen Apfel hervor. Schokolade wäre mir allerdings lieber. Lecithin soll ja beruhigend wirken. Da ich an Schokolade leider nicht gedacht habe, beiße ich hungrig in den kleinen Apfel. Uh, ist der sauer.
Tapfer kauend und mit den Nerven fast am Ende, sehe ich auf die Uhr an der Konsole. Na toll, jetzt komme ich auch noch zu spät zum Gespräch. Ich fasse es nicht! Und das, nachdem ich extra eine halbe Stunde früher losgefahren bin! Ohne meinen zweiten Kaffee! Koffeinmangel tut mir fraglos nicht gut! Nach vier Bissen ist der Apfel Geschichte. Ich öffne das Fenster einen Spaltbreit, werfe ihn hinaus und schließe es schnell wieder, damit es nicht auch noch reinregnet. Dann kneife ich die Augen zusammen und beuge mich nach vorne.
Allerdings hätte ich genauso gut versuchen können, meinen Kopf in einen Bottich mit Wasser zu hängen und dabei ein Buch zu lesen. Die altersschwachen Scheibenwischer bemühen sich zwar hektisch, gegen den Platzregen anzukommen, trotzdem kann ich nur vage Umrisse dieser nicht enden wollenden Straße erkennen.
Plötzlich schüttelt es mich zweimal kurz hintereinander durch. Schlaglöcher. Klar. Ich presse die Lippen aufeinander und starre durch den Wasserfall auf der Windschutzscheibe.
So kann ich nicht weiterfahren! Unmöglich.
Nervös blicke ich durch die Seitenscheiben nach draußen und suche nach einer Parkbucht oder etwas Ähnlichem, aber natürlich gibt es keine Parkbuchten in dieser Rübenfeldlandschaft, nur Abzweige auf vermatschte Feldwege und kilometerlange Zäune, hinter denen Kühe stehen. Was erwarte ich? Vielleicht auch noch eine Tankstelle?
Langsam schleiche ich weiter und bin erleichtert, als der Regen etwas nachlässt. Ich atme durch und lehne mich zurück.
»Geht doch. Jetzt noch ein bisschen Sonne wäre toll«, sage ich und checke die Uhrzeit. Laut Plan hätte ich vor zehn Minuten in Himmelreich ankommen sollen. Ohne die Augen von der Straße zu nehmen, tippe ich auf das Handy an der Halterung vor mir und werfe einen flüchtigen Blick darauf. Immer noch kein Netz. Ob ich mich verfahren habe?
Als ob es darauf gewartet hätte, klingelt es. Nanu? Wieder Empfang? Offenbar scheint es selbst in dieser Pampa einen Gott zu geben, auch wenn er mir bis eben den Stinkefinger gezeigt hat. Meine Mutter. Wie nett, dass sie sich herablässt, mich anzurufen. Ich nehme das Gespräch an und schalte auf Lautsprecher.
»Hallo, Mama«, begrüße ich sie und stelle fest, dass meine Stimme genauso klingt, wie ich mich fühle. Ich kann mir denken, warum sie anruft, verkneife mir aber jeglichen Kommentar.
»Ach, sind wir etwa genervt?«, höre ich sie pikiert sagen.
»Nein … Ja. Das heißt, ob du es bist, weiß ich nicht, ich für meinen Teil bin es definitiv.« Ob sie meine Mail gelesen hat? Ich überlege, an welchem Ort der Welt sich meine Eltern zurzeit befinden. Unnötig, denn schätzungsweise werde ich es gleich erfahren.
»Wir sind gerade in Dubai angekommen, Liebes. Du machst dir keine Vorstellung, wie herrlich es hier ist. Gut, ein bisschen heiß, keine Wolke am Himmel, aber der Pool ist eine Offenbarung! Er durchzieht die komplette Anlage und …«
»Mama, hier ist gerade richtiges Mistwetter, und ich sitze im Auto. Hast du denn meine Mail gelesen?«
»Kind, deine Wortwahl … Welche Mail?«
Wieso war mir das klar? Ich seufze.
»Du hast sie also nicht gelesen. Auch gut. Aber hol das bitte nach, ja? Es ist wichtig. Und was gibt es bei dir Neues?« Seit mein Vater mit Mitte fünfzig seinen Vorruhestand angetreten hat, ziehen es meine Eltern vor, um die Welt zu jetten und nur zu besonderen Gelegenheiten in ihre Frankfurter Villa zurückzukehren. Wie zum Beispiel zum Geburtstag des Firmennachfolgers vor drei Monaten, da mein Vater ja immer noch im Aufsichtsrat sitzt. Bei meinem vorletzten Geburtstag hat mir meine Mutter telefonisch von den Bahamas gratuliert. Bei meinem letzten Geburtstag vor ein paar Tagen hat sie das wohl über einem oder zwei Cocktails auf irgendeiner Jacht vergessen. Seit meinem ersten Schrei in dieser Welt habe ich das Gefühl, meinen Eltern eher lästig zu sein. Nun, die vergangenen Jahre habe ich mich bemüht, dem gerecht zu werden.
»Ich möchte dir nachträglich gratulieren, liebste Felicia. Herzlichen Glückwunsch zum siebenundzwanzigsten Wiegenfest! Ich wünsche dir …«
»Achtundzwanzig«, sage ich unwirsch. »Mama! Du liest meine Nachrichten nicht, vergisst meinen Geburtstag, und jetzt weißt du nicht mal mehr, wie alt ich bin. Frag mich mal, wie eine Tochter das wohl findet. An der Stelle kannst du dir die geheuchelten Wünsche gerne dorthin stecken, wo kein Licht scheint.«
»Felicia Johanna Kaiser! So eine hübsche junge Frau und dann so eine Art zu reden. Deine Ausdrucksweise ist nicht akzeptabel! Außerdem weißt du genau, dass wir beschäftigt sind.«
»Das seid ihr, seit ich denken kann. Ach, womit eigentlich? Mit Sektempfang auf irgendeiner Jacht?« Ich höre sie tief durchatmen, dann redet sie wohlwollender weiter.
»Ich überhöre das besser, liebe Felicia, denn ich wollte dir noch etwas anderes sagen. Obwohl dein Vater und ich beim besten Willen nicht nachvollziehen können, warum du deine Stellung bei Dr. Schröder gekündigt hast, haben wir unsere Beziehung genutzt und dir eine neue Beschäftigung vermittelt. Allerdings in Wiesbaden, du müsstest mit der Bahn fahren oder dir einen zuverlässigen Wagen besorgen. Wir …«
»Ich habe ein Auto«, unterbreche ich sie unwirsch.
»Du meinst, du hast ein schrottreifes Gefährt, das den Namen Automobil nicht verdient. Zurück zum Wesentlichen, Felicia. Ab September steht es dir offen, bei Jerome anzufangen. Seine Sekretärin erwartet ein Kind.«
Spontan springt mir die Frage in den Kopf, von wem, lasse es aber sein.
»Bei dem alten versoffenen Golfkumpan von Papa, der jedem Rock hinterhersteigt? Da muss sich schon die Wüste Gobi in eine flächendeckende Oase verwandeln. Nie im Leben! Im Übrigen weißt du genau, dass ich keine Lust mehr auf Aktenberge habe. Oma hat immer von einem Blumenladen geträumt, und ich …«
»Jetzt komm mir nicht mit meiner Mutter!«
»Du liebe Zeit … Also, wie gesagt, vergiss das mit Jerome. Außerdem befinde ich mich gerade weit weg von Frankfurt und meinem bisherigen Leben, falls du es noch nicht mitbekommen hast. Vielleicht solltest du mal deine Mailbox abhören oder deine Mails lesen. Nein! Ich pfeife auf eure Beziehungen und eure High Society.«
»Jedes andere Kind wäre glücklich, in die Elite hineingeboren zu werden. Doch du bist nur undankbar. Kein Wunder, dass Ethan davon abgesehen hat, dich zur Frau zu nehmen.«
Ich schnappe nach Luft. Das hat gesessen.
In diesem Moment regnet es wieder sintflutartig, gerade so, als hätten die Wolken nur kurz Luft geholt. Die Sicht nach draußen tendiert nahezu gegen null. Das kann aber auch daran liegen, dass mir spontan die Tränen in die Augen schießen. Muss sie unbedingt Ethan ins Spiel bringen?
Okay, Starkregen und Einöde sind das eine, meine Mutter und die Erwähnung von Ethan das andere. Alles zusammen ist Armageddon. Zumindest für mich. Ich kralle mich ans Lenkrad.
»Was hat das bitte mit meiner Ausdrucksweise oder mit Undankbarkeit zu tun?!«, brülle ich das Handy an. »Der Mistkerl hat mich betrogen! Mit meiner angeblich besten Freundin! Hast du das etwa auch vergessen?!«
»Siehst du, das ist das, was ich meine. Deine Art passt weiß Gott wenig zu …«
Ich rupfe das Handy aus der Halterung, schalte es aus und pfeffere es in den Fußraum.
»Jetzt erst recht!«
Bis vor wenigen Minuten habe ich mit der Entscheidung gehadert, einen Neuanfang zu wagen. Aktuell jedoch erscheint mir selbst der Dauerregen wie eine willkommene Erfrischung im Vergleich zu dem verkorksten Leben in Frankfurt.
»Ha!«, stoße ich trotzig aus. Fast zeitgleich versagt der linke Scheibenwischer, und im Rückspiegel flackert es hell auf. Und kommt näher. Verdammt, was …?
Vier Scheinwerfer holen mich von hinten ein. Vier? Ich schnappe nach Luft. Dann sind sie heran. Einer der beiden Wagen rauscht auf der schmalen Straße mit Mach 3 links an mir vorbei. Ich reiße automatisch das Lenkrad herum. Olaf sackt leicht nach rechts ab, rollt aber weiter. Schlamm! Oder? Graben! Oh Gott, bitte kein Graben! Ich steuere wie wild dagegen, der Wagen schlittert. Olaf ächzt und stöhnt, und irgendwann ist der Wagen mit allen vier Reifen wieder auf der Fahrbahn.
Das war knapp!
Ganz ruhig, Fee, hochblicken, nach vorne gucken.
Dann geschehen drei Dinge zur gleichen Zeit: Hinter mir hupt es ungeduldig, jemand gibt mir Lichthupe – und vor mir taucht eine Kuh auf.
Mit einem Aufschrei ramme ich den Fuß auf das Bremspedal. Gerade noch rechtzeitig kommt Olaf zum Stehen, schüttelt sich einmal kurz und lässt seinen Motor mit einem gequälten Gurgeln absaufen. Mein Kopf sinkt auf das Lenkrad. Viel Zeit zum hysterischen Kichern bleibt mir allerdings nicht, denn urplötzlich wird meine Tür aufgerissen.
»Kann ich Ihnen helfen? Sind Sie verletzt?«
Na, der hat Nerven! Fährt fast auf mich drauf und schleimt sich auch noch ein. Ich hebe den Kopf ein Stück und blicke zur Seite. Vor dem Auto steht ein Mann, dunkelhaarig. Er sieht aus wie eine Mischung aus Dean Winchester aus der Serie Supernatural, Bradley Cooper und … Ethan!
Wie auf Kommando beginnt meine Nase zu kribbeln. Das tut sie immer, wenn ich mich in unangenehmen Situationen befinde. Verdammt! Ich widerstehe dem Drang, an der Nasenspitze zu reiben, und hoffe, das Kitzeln verschwindet von alleine. Das kommt gelegentlich vor. So wie jetzt. Puh!
Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln. Herrgott, muss der mich so ansehen?! Sein Blick wandert amüsiert an mir runter und wieder hoch, und dabei schleicht sich ein süffisanter Ausdruck in sein Gesicht, den ich viel zu gut von Ethan kenne. So einer hat mir gerade noch gefehlt! Und das mit nur einem einzigen Kaffee im Blut und dem Geschmack eines sauren Apfels auf der Zunge. Da soll man noch nett und freundlich sein. Außerdem hat der Typ mich eben fast über den Haufen gefahren!
»Glotzen Sie nicht so!«, herrsche ich ihn an und richte mich im Sitz auf. »Noch nie eine Frau hinterm Steuer gesehen? Und haben Sie sich etwa eben ein Wettrennen geliefert? Sind Sie noch bei Trost? Ich wäre fast im Graben gelandet.«
Er hebt die Hände. »So war das nicht, ich …«
»Ach, halten Sie den Rand und schieben Sie sich mitsamt Ihrem Anzug zurück in Ihre Nobelkarosse, bevor der Regen das edle Stöffchen noch ruiniert.« Ich will die Tür zuziehen, doch er hält sie fest.
»Wissen Sie was, Sie unhöfliche Person? Ich wollte mich nur erkundigen, ob mit Ihnen alles in Ordnung ist, aber das hat sich wohl erledigt. Viel Spaß noch mit der Herde!«
Energisch knallt er die Tür zu.
»Hilf dir selbst, sonst bist du verlassen!«, brülle ich nach hinten. Er steigt in seinen schwarzen Wagen, wendet und rauscht davon. Warum fährt er nicht an mir vorbei?
Moment – hatte er Herde gesagt?
Die Kuh hat Gesellschaft bekommen. Ich zähle durch … acht Stück. Sechzehn bedrohliche Hörner zwischen mir und dem Zielort. Jetzt wird mir auch klar, warum Mister Anzug die andere Richtung bevorzugt hat.
Na toll! Zu meinem Termin im McLeods komme ich garantiert zu spät. In Gedanken spiele ich mehrere Optionen durch.
1. Ich könnte ebenfalls wenden. Das hieße jedoch, von Himmelreich wegzufahren, anstatt darauf zu.
Ich angle das Handy aus dem Fußbereich. Wo ein Netz ist, ist auch eine Navigations-App. Gute Idee! Hastig schalte ich es ein. Zwei Pieptöne teilen mir den Akkustand mit. Ein Prozent. Entnervt sinke ich nach hinten und ärgere mich, dass es in dieser Karre keinen Stecker zum Aufladen gibt. Okay. Weiter überlegen.
2. Ich warte, bis die Kühe von alleine verschwinden. Ich meine, so eine Kuh ist verdammt groß, die Hörner können erheblichen Schaden anrichten, und bislang hatte sich mir noch keine Gelegenheit geboten, den Umgang mit Kühen ausreichend zu studieren. Aber ich habe keine Zeit zum Warten.
3. Ich treibe sie im sicheren Metallmantel von Olaf bis ins Dorf.
Option drei klingt gut. Energisch presse ich die Handfläche auf die Hupe. »Ab mit euch! Kusch!«
Himmel, was tu ich da eigentlich? Ich sitze im Auto und brülle Kühe an. Die fühlen sich auf der Landstraße offensichtlich wohler als auf der vermatschten Koppel, was ich ihnen nicht verdenken kann. Na, dann wollen wir doch mal sehen, was sie tun, wenn ich langsam losfahre. Im Schutz meines Wagens bin ich echt stark.
Ich drehe den Schlüssel und Olaf antwortet mit einem Enenen. Ach bitte, nein.
»Olaf! Lass mich nicht im Stich, ja?«
Nach dem dritten Versuch springt er gnädigerweise an, und mir fällt ein Gebirge vom Herzen. Vorsichtig drücke ich den Fuß auf das Gaspedal. Eine Kuh hüpft ein Stück nach vorne und blickt mich über die Schulter anklagend an. Schöne Augen hat sie, aber das bringt mich jetzt auch nicht weiter. Ich hupe erneut, rolle im Schleichtempo vorwärts und komme mir wie ein Viehtreiber vor. Die blöden Rindviecher zotteln jedoch ungerührt und gemütlich vor mir her. Mit einem Kuharsch vor der Scheibe wird mir erst richtig bewusst, wie groß diese Tiere eigentlich sind.
Trotzdem – so geht das nicht! In dem Tempo erreiche ich wahrscheinlich erst gegen Mitternacht das McLeods.
Aufgebracht halte ich an und stoße die Tür auf. Das bisschen Regen. Pah!
Gerade noch rechtzeitig sehe ich den tortenplattengroßen Kuhfladen. Soweit es mein Rock erlaubt, mache ich einen langen Schritt, halte mich an der Tür fest, ziehe das zweite Bein nach – und knicke um.
Verdammt! Hätte das Mistvieh nicht in das Schlagloch daneben kacken können?!
Meine schönen High Heels! Mein Geburtstagsgeschenk an mich selbst. Ein Vermögen habe ich für dieses mehrfarbige Einzelpaar mit quietschgrünem Absatz hingeblättert. Der hängt jetzt am Rand eines Schlaglochs am Arsch der Zivilisation und hat somit mit mir als Person mehr gemeinsam, als ich mir eingestehen mag.
Kurzerhand schlüpfe ich aus den Schuhen, werfe sie ins Auto und stehe nun barfuß auf der nassen, stellenweise mit Erdreich überzogenen Straße. Im Regen. Hinter einem Pulk von Respekt einflößenden Kühen. Es hätte schlimmer kommen können, oder? Es hätte Winter sein können. Es hätten Stiere sein können. Wenigstens ist der Regen warm. Um die Schuhe kümmere ich mich später, jetzt müssen die Kühe verschwinden.
Ich nehme all meinen Mut zusammen und gehe mit gespreizten Armen auf die Kühe zu.
»Weg«, piepse ich.
Eine Kuh dreht den Kopf, sieht mich mitleidig an, hebt den Schwanz und kackt Olaf vor den Bug. Nur wenige Zentimeter und … Nicht drüber nachdenken. Ich räuspere mich und fasse mir ein Herz.
»Husch! Weg! Kusch!«, brülle ich gegen meine Angst an, hüpfe wie ein junges Fohlen und kreise windmühlenartig mit den Armen. Mein Gehopse zeigt tatsächlich Wirkung. Die Viecher bewegen sich, langsam, aber sie bewegen sich. Ich bin ehrlich verblüfft, aber auch ein bisschen stolz.
Mindestens hundertzwanzig gehüpfte Husch später stehen die Kühe auf dem Feld neben der Straße und muhen mich vorwurfsvoll an. Ich bin stolz auf mich! Fee, die Kuhbändigerin!
»Sorry, Mädels, wenn ich weg bin, könnt ihr gerne wieder den Asphalt belagern«, sage ich salopp im Abdrehen, eile zu Olaf zurück und springe hinters Lenkrad.
Alles tropft. Meine Haare hängen mir klatschnass im Gesicht, das Waschen am Morgen hätte ich mir getrost sparen können. Mit den Fingerspitzen hebe ich den durchnässten Stoff der Bluse von der Haut weg und verursache mit dieser kleinen Bewegung ein schmatzendes Geräusch. Ein prüfender Blick in den Spiegel: Katastrophe! So kann ich unmöglich bei meinem neuen Arbeitgeber erscheinen! Ich sehe aus, als wäre ich in voller Montur durch den Bodensee gekrault.
»Oh nein! Nicht gut, gar nicht gut!«, wimmere ich und schrubbe mit einem Blusenzipfel an den schwarzen Wimpertuscheklecksen unter meinen Augen herum – mit mäßigem Erfolg.
Schicksalsergeben seufze ich auf, verlasse den Wagen und öffne den Kofferraum. Ich zerre ein Handtuch und mein buntes Desigual-Kleid heraus, greife in die Tasche mit den Schuhen und werfe mein einziges unifarbenes Paar – schwarz, passt nicht, egal – nach vorne Richtung Beifahrersitz. Das wiederhole ich mit Handtuch und Kleid. Schnell klappe ich den Kofferraum zu und schlüpfe hinters Lenkrad.
Wer jemals Sex in einem Auto hatte, kann sich vielleicht vorstellen, wie schwierig es ist, sich in dem begrenzten Platz zu entkleiden. Also schäle ich mich mit Verrenkungen, die in jeden chinesischen Staatszirkus gepasst hätten, aus Bluse und Rock und hoffe, neben den interessiert glotzenden Rindviechern keine weiteren Beobachter zu haben. Hastig rubble ich mir die Haare trocken und verbringe kostbare Minuten damit, mir das Kleid überzustreifen. Schließlich habe ich es geschafft. Puh! Jetzt die Haare. Mist! Bürste vergessen. Ich greife ins Handschuhfach und ziehe die Haarspange heraus, die ich irgendwann einmal dort hineingeworfen und nicht mehr daran gedacht habe – bis jetzt –, und klemme die blonden Locken, die sich sowieso nur schwer bändigen lassen, zu einer Art origineller Hochsteckfrisur am Hinterkopf fest. Dann starte ich den Wagen.
»So, Olaf.« Ich nicke entschlossen und umgreife das Lenkrad. »Kann losgehen.«
Wie auf Kommando hört der Regen auf. Ich spucke ein sarkastisches Danke auch, wäre das etwas früher auch gegangen, du Drecksregen? aus und gebe Gas. In Gedanken höre ich meine Mutter mit gespitzten Lippen sagen: Kind! Deine Ausdrucksweise …

 

Liebe Leserin, Lieber Leser!

Ich hoffe, die Leseprobe hat Ihnen gefallen, und ich konnte Sie für Himmelreich begeistern.
Ich freue ich mich sehr, wenn meine Geschichten Herzen berühren und vielleicht auch ein bisschen zum Lachen bringen.

Ihre Jo Berger

Zum Roman

Besuchen Sie die Mädels von Amours Four auf der Fanpage zur Reihe

Die Himmelreich-Reihe, Staffel 2:

1 – Himmelreich mit Herzklopfen von Jo Berger

2 – Zwei Küsse für Himmelreich von Andrea Bielfeldt (01. Juli 17)

3 – Himmelreich und Höllengrund von Susanne Pavlovic (01. Sept 17)

4 – Eine Hochzeit für Himmelreich von Mia Leoni (01. Nov 17)

Leseprobe Die besten Liebesromane mit Humor

Leseprobe des Liebesromanes „Himmelreich mit Herzklopfen“ – Band 1 von 4 – Neuerscheinung 2017

Die besten Liebesromane mit Humor – Die beliebte Buchreihe rund um Himmelreich geht weiter!