Meine Freundin meint, ich hätte ein verlässliches Talent, die falschen Kerle magisch anzuziehen. Liebe ist offenbar nicht mein Ding. Ansonsten gehts mir prima. Bis auf ein paar Kleinigkeiten: Ich habe nie genug Geld, zu kräftige Schenkel, zwei verrückte, beste Freundinnen. Und ein delikates Problem.

Bridget nennt es Sahara im Schritt. Aber pst, nicht weitersagen. Sie meint, mein Ödland würde nur durch den richtigen Mann wieder zur Oase werden. Ich meine, ich krieg das auch ohne in den Griff. Wäre ja gelacht.
Das sehen meine Freundinnen anders. Damit es an besagter Stelle wieder schnurrt, schenken sie mir ein Speeddating in the Dark. Was für eine blöde Idee.
Alle Sinne sind angesprochen, bis auf den wichtigsten. Somit fallen Optik und die ultimativen Top-Life-Hacks der Körpersprache gepflegt unter den Tisch. Stattdessen gibt es Achselschweiß, Eigenreklame und einer hat Blähungen. Acht Minuten können verdammt lang sein!
Irgendwann bin ich bereit, den Laden fluchtartig zu verlassen – da kommt Ryan. Gut duftend, charmant, eloquent und mit einer Stimme gesegnet, die alles in mir schwingen lässt.

Und mit ihm fängt mein Chaos erst so richtig an.

Alle Romane von Jo Berger können unabhängig voneinander gelesen werden.
Keine Cliffhanger und garantierte Happy Ends.

 

Reinlesen

Bridget hakt sich bei mir unter.

»Na, Amy? Bist du aufgeregt?« Sie zupft ihre pinkfarbene Mütze zurecht und scheint nervöser zu sein als ich.

»Zum Glück wird mich ja niemand sehen«, stoße ich vor Kälte bibbernd hervor.

Möge dieser Abend schnell an mir vorübergehen.

Links von mir geht Brig, rechts Happy. Meine Freundinnen haben mich eingekesselt, Flucht unmöglich. Wenigstens geben sie ein bisschen Wärme ab.

Im Gegensatz zu mir sind sie eingepackt, als wollten sie auf eine Lapplandexkursion. Brig ist in einen knallroten Wollmantel mit pinkfarbenem Schal und Mütze gehüllt, unter der ihre goldenen Haare lang über die Schultern hängen. Happy trägt dicke Lederhosen, gefütterte Boots und eine Bikerjacke über einem dicken Rollkragenpulli. Auf ihrem roten Kurzhaarschopf sitzt ein schwarzes Beanie mit weißem Totenkopfaufdruck.

Nur ich bin viel zu dünn angezogen. Nicht wintertaugliche Sommerlieblingsjeans, ausgeschnittene Blümchenbluse, braune Lederjacke, nicht gefüttert. Dazu passende Lederstiefeletten mit viel zu dünner Sohle. Schal vergessen.

Keine Ahnung, warum ich dieses Outfit gewählt habe. Wahrscheinlich spielte die Sehnsucht nach warmen Frühlingstagen eine nicht unerhebliche Rolle. Ist doch wahr! Mitte März sollte es nicht mehr so kalt sein! Die ganze Woche hatte es den Anschein, als sitze der Frühling schon in den Startlöchern und ausgerechnet heute überlegt es sich der dämliche Lenz anders.

Kurz und gut: Ich habe schlichtweg die Temperaturen überschätzt – und Brigs Äußerung »Wir finden sicher einen Parkplatz in der Nähe« ebenfalls.

Wenigstens hat der Wind ein klein wenig nachgelassen. Kalt ist es trotzdem. Bereits nach fünf Minuten Fußmarsch schlottere ich wie Nachbars Katze im Schnee.

Das ist Schottland. Eben noch bewölkt und windstill, kurz drauf kristallklar, klirrend kalt und mit Böen, die angeleinte Pudel wie Luftballons fliegen lassen. Die nächsten Minuten ist also durchaus noch Regen drin.

Mit jedem weiteren Schritt in Richtung des Restaurants, das sich auf Speeddatings spezialisiert hat, wird mir unwohler.

Was für eine Schnapsidee! Nicht meine, aber die meiner beiden besten Freundinnen. Sie wollen mich unbedingt an den Mann bringen. Und das ausgerechnet mit einem Speeddating. Das allein wäre ja okay gewesen. Aber ein Dating im Dunkeln? Es heißt ja, die ersten sieben Sekunden entscheidet sich dein Unterbewusstsein für oder gegen einen Menschen. Forscher haben das herausgefunden, also muss es stimmen.

Aber wie bitte schön soll das im Dunkeln funktionieren?

Ich stelle die Frage laut.

Brig scheint bei der Vorstellung, einem fremden Mann im Dunkeln gegenüberzusitzen, förmlich zu erzittern.

»Hocherotisch! Absolut prickelnd und spannend. Deine Sinne sind aufs Äußerste gereizt und du nimmst alles um dich herum verstärkt wahr. Seinen Geruch, seine Stimme, seine … O mein Gott, allein der Gedanke daran lässt die Niagarafälle in meinem Slip nur so sprudeln, sag ich dir.«

»Danke, sehr witzig. Und sehr passend«, maule ich.

»Ach Amy, nimms ihr nicht übel. Das ist ihr bestimmt nur herausgerutscht. Stimmt’s, Brig?«

»Nein, Happy, mir rutscht nichts raus. Nicht mal Worte.«

Warum hat mir das Schicksal ausgerechnet eine Casual-Date-Verrückte und eine gnadenlos direkte Person an die Seite gestellt?

Weil du das volle Brett brauchst, liebe Amy?

»Schätzchen«, führt Happy weiter aus und stößt mir ihren Ellenbogen liebevoll in die Rippen. »Du willst dich nur drücken. Mach dich locker, du brauchst neue Erfahrungen. Ein Darkdate ist so ähnlich wie eine erotisches Zusammentreffen. Dir verbindet jemand die Augen und du weißt nicht, was passiert. Das kann mächtig prickelnd sein.«

»Vermutest du?«

»Weiß ich, Baby!«, sagt sie mit rauchiger Stimme und schnalzt mit der Zunge.

Mein Blick muss Bände gesprochen haben, denn Brig besänftigt sofort. »Keine Sorge, die Veranstaltung ist nicht mit anfassen.«

»Danke, Freundin, ich habe schon überlegt, wo ich mein Ganzkörperkondom verstaut habe.«

Sarkasmus kann ich.

Desweiteren kann ich noch Schokolade essen, Wein trinken, mich lächerlich machen und seit ein paar Monaten bin ich selbst gekürte Spezialistin in der Disziplin: Wie betrachte ich im Spiegel meine Oberschenkel inklusive dem Übergang zum Po von hinten – ohne umzufallen.

»Also ich wäre supernervös.« Happy drückt meinen Arm. »Mein Geburtstagsgeschenk bekommst du übrigens am Samstag. Nicht, dass du denkst, ich hätte es vergessen. Der Versand dauert nur etwas länger.«

»Schon okay«, murmele ich und ziehe den Kragen der Jacke übers Kinn. Da ist er wieder, der Wind. Und der ist eisig.

»Magst du den hier haben?« Brig nimmt ihren weichen Schal ab und wickelt ihn mir um den Hals. »Nicht, dass du noch krank wirst. Du hättest dir echt was Wärmeres anziehen sollen, Süße.«

»Danke, lieb von dir.«

Das ist meine Brig. Immer besorgt um mich und bemüht, mich lächeln zu sehen.

Seit ich wieder Single bin, schleppt sie mich auf alle möglichen Events. Seit Herbst letzten Jahres bin ich auf so vielen Veranstaltungen gewesen, dass ich sie kaum noch zählen kann. Partys, Konzerte, Museumsbesuche, Vernissagen, Singlekochkurse, Singlewanderungen. Sogar zu einem Affirmationskurs für Selbstliebe hat sie mich gezerrt. Einen Mann habe ich trotzdem nicht kennengelernt. Zumindest keinen, der in die engere Auswahl hätte kommen können.

Und jetzt ein Dunkeldate …

Wenn diese Nummer auch nur im Ansatz so ein Fehlschlag wird wie Brigs letzte Idee, sollte ich nicht mal den großen Zeh über die Schwelle setzen.

»Mädels …« Meine Schritte verlangsamen sich.

»Was?« Happy runzelt die Stirn.

»Keine Ahnung. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.«

»Mach dich locker, Amy. Vielleicht triffst du ja heute deinen Traumprinzen?«

»Möglich, bezweifle ich jedoch stark.« Meine Schritte werden kürzer, Happy und Brig ziehen mich jedoch trotz meines halbherzigen Protests unaufhaltsam weiter. Ich fühle mich wie ein Häftling auf dem Weg zum Schafott. Die Kugel am Bein wird immer schwerer.

»Einen smarten, humorvollen und eloquenten Mann?«

»Verheiratet, ein Stall voller Kinder und permanenter Sexmangel?«

Ich will nicht da rein!

»So schnell hintereinander ähnlich wahrscheinlich wie die Begegnung mit einem Astronauten, der noch nicht in die Schwerkraft zurückgefunden hat. Mach dich locker.«

Und wenn ich mich jetzt losreiße und ins nächste Taxi springe?

Die folgenden Minuten versinke ich in Überlegungen, wie ich mich drücken könnte, und bekomme nur Gesprächsfetzen mit.

»Sag mal, Amy, hörst du uns überhaupt zu?« Happy bleibt stehen, Brig auch. Warum?

Ah, wir sind da.

»Klar. Wir waren bei dem Flyer, oder? Hab ihn überflogen. Ich sehe nichts, die Kellnerinnen schon. Die haben ein Nachtsichtgerät. Und dann war da noch was mit zwei Buttons.«

Brig verdreht die Augen. »Drei. Zwei an den Enden des Tisches, einer in der Mitte. Ja. Nein. Beenden.«

»Und die leuchten unter dem Tisch auf, ich weiß, habs gelesen. Wie war das noch mal mit dem dritten Knopf? Rot bedeutet, dass ich abbrechen will, oder?« Meine Aufmerksamkeit wird auf zwei neonleuchtende Pfeile an der Tür gelenkt. Einer mit der Aufschrift »Männer« zeigt nach rechts, der andere für Frauen nach links.

»Nicht ganz.« Brig seufzt. »Grün bedeutet Kennenlernen, Rot heißt nicht kennenlernen und Gelb schnell raus hier. Auch unter deinem Tisch könnte es rot aufleuchten.«

»Oder grün. Wo ist gleich noch mal der Schnell-raus-hier-Button?«

»In der Mitte.« Brig stupst mich liebevoll an. »Tief durchatmen. Es wird dir Spaß machen. Und wer weiß, vielleicht findest du …«

Den Rest höre ich nicht mehr. Mein Blick fließt an Brig vorbei und bleibt an einem Typen hängen, der wenige Schritte vor uns neben dem verdunkelten Restauranteingang durch ein Tor verschwindet. Ob das der Hintereingang ist? Für Männer?

»Da!« Ich deute mit zitterndem Finger nach vorn und ziehe Happy an der Bikerjacke zu mir. »Happy!«

»Amy!«

»Hast du den Kerl, Marke Schwerverbrecher, auch gesehen?«

Happy und Brig kneifen die Augen zusammen und folgen meinem Finger mit ihren Blicken. »Nein?«

»Na, den mit dem Hut und dem hochgeschlagenen Mantelkragen. Er hat sich ein paarmal umgesehen, bevor er da rein ist.«

»Und das hat was genau zu bedeuten? Du siehst dich auch laufend um und hast die Schultern hochgezogen, als könne dich so niemand erkennen.« Happy zuckt mit den Schultern. »Vielleicht begegnest du ihm ja gleich wieder und er ist ganz nett? Das Äußere kann täuschen. Wir fokussieren uns sowieso viel zu viel auf Äußerlichkeiten und lassen die anderen Sinne außen vor.«

Happys Worte fasern dünn an mir vorbei.

»Den will ich nicht kennenlernen. Weder im Hellen noch im Dunkeln.«

»Gut, dann lass uns gehen.« Völlig überraschend packt mich Brig am Ärmel und noch überraschender grabe ich die Hacken in den Asphalt.

»Warte … Ihr habt mir den Gutschein geschenkt, mich nach Inverness gefahren und wollt sogar auf mich warten.« Ich seufze schicksalsergeben auf. »Also bringe ich das jetzt zu Ende. Im Zweifelsfall wird es eine Erfahrung.«

Happy strahlt und klopft mir auf die Schulter. »Das ist unsere Amy. So langsam kommst du wieder zurück, hm? Wird Zeit. Dieser Gareth hat bei dir echt Sahara im Schritt hinterlassen. Das Ödland muss weg. Rein mit dir ins Datingabenteuer. Vielleicht ist ja einer dabei, der es bei dir wieder schnurren lässt.«

»Und keine Sorge«, ermutigt Brig. »Kaum jemand wird so eine Veranstaltung als ernsthafte Beziehungsanbahnung betrachten. Läuft es gut, bahnt sich höchstens ein weiteres Treffen mit Beleuchtung an und nicht gleich eine Romanze.«

»Logisch«, erwidere ich verkrampft lächelnd und atme tief durch. »Also dann. In weniger als einer Stunde bin ich ja wieder draußen.«

Ich sehe die Sache einfach als ein kurzes Event. Warum auch nicht? Ein Singleabend im Kino ist deutlich langweiliger. Und dort stehen die Chancen echt mies, bei spärlicher Beleuchtung auf einen netten Mann zu treffen.

***

Nach vier Männern bin ich bereit, die Lokalität fluchtartig zu verlassen.

Der erste glänzt mit einer melodischen Stimmfarbe – und verliert durch penetranten Zigarrengestank vermischt mit abgestandenem Schweiß an Polyester. Der zweite riecht einigermaßen annehmbar. Ein bisschen zu viel Rasierwasser, darunter ein Hauch Leder.

Es ist verblüffend, wie die anderen Sinne die Führung übernehmen, wenn die Augen es nicht können. Acht Minuten können allerdings ewig sein, wenn sie angefüllt sind mit Eigenreklame.

Immerhin weiß ich nun: Der dritte im Bunde besitzt eine IT-Firma für Habichvergessen, ist eins dreiundachtzig groß, schlank, blond und hat blaue Augen. Er ist Leistungsschwimmer und Dauerläufer – oder umgekehrt –, fährt einen Mercedes im oberen Preissegment und seine Penthousewohnung ist im Industrial Style eingerichtet. Kurzum: Er ist perfekt. Genial. Besser gehts nicht. Sagt er.

Nach seiner Frage, was ich so beruflich mache, die ich ehrlich und ungeschönt beantwortet habe, leuchtete bei mir der rote Knopf auf.

Danke, dass er mir zuvorgekommen ist!

Was hat ihn nur gestört an: Empfangstippse in einem Autohaus?

Guter Dinge und voller Vertrauen, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann, serviert mir das Schicksal als Nächstes einen Pupser.

Er entschuldigt sich umgehend. Weiße Bohnen am Vortag. Sorry. Das Gären und Grummeln in seinem Magen sowie leise Fürze – die sind ja bekanntlich die Schlimmsten – machen das Gespräch zu einer Herausforderung. Kurz bevor ich meine Gedanken in die Tat umsetzen will, mir ein Tampon in jedes Nasenloch zu stecken oder doch eher den Fluchtknopf zu betätigen, leuchtete mein grüner Knopf auf.

Okay, man soll ja jedem Menschen eine Chance geben. Aber angesichts von Achselschweiß, Vorlieben für fettiges Essen und dem Spruch »Fleisch ist mein Gemüse« versagt selbst der gutmütigste Wille.

Roter Button. Sorry, tut mir leid. Der Nächste bitte.

Jonas duftet nach Kernseife und ist höchstens achtzehn Jahre alt. Das helle Sopranstimmchen erzählt in ausschweifender Entzückung von seiner Mutter. Demnächst will er ausziehen. Er hat jetzt einen Job gefunden. Nachdem er seine Ausbildung als Pflegefachkraft hingeschmissen hat.

Wir haben acht Minuten, und mir kommt es vor, als sitze mir Jonas seit Stunden gegenüber. Der Drang, auf meinem Handy nach der Uhrzeit zu sehen, wird übermächtig. Aber das wäre unhöflich.

Es ist dunkel, ich habe Hunger und vorhin habe ich beinahe das Wasserglas vor mir umgeworfen und beim Abstellen peinlich darauf geachtet, nicht den grünen Button zu berühren. Die Dinger sind zwar riesig und somit nicht zu verfehlen, aber extrem flach. Und verflixt berührungsempfindlich. Da muss der Veranstalter definitiv nachbessern. Oder aber die Teile wurden mit Absicht so konstruiert. Je flacher und größer der Knopf, umso leichter kann er versehentlich berührt werden. Da die meisten Menschen Rechtshänder sind, liegt demnach der grüne Kennenlernbutton rechts und unterhalb meines Wasserglases.

Fies!

Ich habe mir angewöhnt, die Hände nicht in die Nähe des Tisches kommen zu lassen und sie im Schoß zu falten. Außer ich will etwas trinken.

Jetzt allerdings habe ich sie vor der Brust verschränkt. Eindeutig eine Abwehrhaltung. Das stand in irgendeinem Lifestyle-Magazin als Top-Life-Hack der Körpersprache. Wenn dein Gesprächspartner oder potenzieller Kandidat für eine Beziehung die Arme verschränkt, bedeutet das Ablehnung oder Zurückhaltung oder gähnendes Desinteresse. Differenzierungen sind über die restlichen Faktoren Gestik und Mimik zu treffen.

Nur nicht im Dunkeln. Und ich habe gerade die Lippen zusammengepresst. Kein Wunder, so trocken wie sie sind, kriege ich sie kaum noch auseinander.

Schluck Wasser? Lieber nicht.

Am Nebentisch höre ich einen Mann nach einem anschließenden Date bei Licht fragen. Um die Ecke gäbe es ein gutes Restaurant.

Danke auch für die Aktivierung meines Hungerzentrums. Ich hätte mehr zu mir nehmen sollen als die Reste der Gemüsesuppe in der Mittagspause. In der Mikrowelle aufgewärmt. Vor einem Date kann ich nichts essen. Und heute habe ich gleich mehrere.

Schlagartig überkommt mich Appetit auf Scottish Eggs. Ich liebe diesen Partysnack aus Eiern im Hackfleischmantel. Sie schmecken kalt und warm klasse, sind perfekt für Picknicks und Partys und überstehen schadlos holprige Auto- oder Radfahrten über Stock und Stein.

Verbesserungsvorschlag an den Veranstalter: Fingerfood bereitstellen. Wenigstens ein paar Salzstangen. Aber die hätten auf den miniaturhaften Bistrotischen mit den sechs handtellergroßen Buttons vermutlich keinen Platz.

Nicht vergessen! Rot für Geht-gar-nicht ist links, der grüne Button rechts.

»Amelie? Bist du noch wach?«

Ich zucke zusammen. »Äh … klar. Ich höre dir nur zu. Deine Mom …?«

Das ist geraten. Ich tippe jedoch auf Volltreffer. Als könne er mich sehen, lächle ich und streiche mir verlegen eine Haarsträhne nach hinten.

»Genau. Meine Mutter ist mir mehr eine gute Freundin. Wir reden einfach über alles. Jeder sollte so eine Mom haben. Sie hat ja nur noch mich, seit Dad sie verlassen hat.«

Weint er? Seine Stimme klingt so. Meine Hand bewegt sich zur Tischmitte, schwebt über dem Schnell-raus-hier-Button.

»Wie ist denn deine Mutter so?«, will er von mir wissen, und ich unterdrücke einen Verzweiflungsschrei.

»Meine Eltern leben in London. Also, Jonas, ich denke, wir beide …« Ob ich doch lieber den roten Button drücken soll? Aber ich möchte den Jüngelchen auch nicht vor den Kopf stoßen.

»O. Mein. Gott! Das ist ja so weit weg. Wie erträgst du das?«

»Ganz gut. Wir sehen uns gelegentlich zu den üblichen Anlässen, telefonieren und …« Ich will hinzufügen, dass meine Grandma im gleichen Mehrfamilienhaus wie ich lebt, komme aber nicht mehr dazu.

Mein roter Button leuchtet kurz auf, ich seufze erleichtert, dann erlöst mich der Gong zur nächsten Runde.

Die Frauen dürfen sitzen bleiben, die Männer werden von den Angestellten mit Nachtsichtgerät an den nächsten Tisch geführt.

Ich rekapituliere: ein Zigarrenraucher, ein Egomane, ein leiser Furzer und ein Mamasöhnchen.

Was kommt als Nächstes?

Mir ist unwohl. Gelber Button oder nicht? Andererseits ist der Abend bald vorbei und aufgeben gehört nicht in mein Portfolio.

»So, hier sind wir am nächsten Tisch«, höre ich eine der weiblichen Mitarbeiter sagen. »Ich stelle Ihnen das Getränk auf die rechte Seite.«

Klar, da ist der grüne Button.

»Bitte auf die linke.«

Schlauer Mann. Ich mag ihn jetzt schon.

Zudem hat er eine voll klingende Stimme! Warm, weich, melodisch, leicht dunkel, aber nicht zu tief. Er klingt amüsiert und es streift nichts Schweiß- oder Flatulenzähnliches meine Nase.

Man schraubt die Erwartungen recht schnell zurück, wie ich merke, und im Geiste sehe ich einen leise lächelnden Adonis vor mir. Kein Muskelprotz, eher der Typ sehniger Sportler. Dazu elegant und weltmännisch.

Bereits nach diesem kurzen Satz von ihm dürfte er mir ein Hörbuch an die Backe quasseln und mich in den Schlaf lesen. Oder mir schmeichelhafte Worte ins Ohr flüstern.

Der Stuhl wird verrückt. Ich auch, wenn nicht bald das Licht angeht.

Das Bedientier mit dem grün leuchtenden Lämpchen des Nachtsichtgeräts spricht mich an: »Amelie, darf ich Sie vorstellen? Ihr nächstes Date ist Ryan.«

Rrryan … Auf meinen Unterarmen stellen sich die Härchen auf.

Und meine Nase gibt ihr uneingeschränktes Okay. Mehr noch. Der Kerl duftet so gut, dass ich sofort das Bedürfnis habe, an seinem Hals zu schnuppern. Ein umwerfend maskuliner Duft. Erotisch, dynamisch und kraftvoll. Sofort springt mir das Bild eines klassischen Gentlemans in den Kopf. Einer mit Humor. Das wäre ja … Stopp, Amy! Eine Stimme allein macht noch keinen unwiderstehlichen Mann.

Verdammt, kann hier mal jemand das Licht anmachen?

Daten ist anstrengend. Insbesondere im Dunkeln.

Und erst recht, wenn mir die Lust fehlt auf Begegnungen mit Frauen, die ich nicht mal sehen kann.

Aus eigenem Antrieb würde ich solch eine Veranstaltung niemals besuchen. Auch nicht, um lediglich Spaß zu haben, wie mir das erste Acht-Minuten-Date beim zweiten Satz schrill kichernd serviert hat. Und bislang hatte ich bei keiner der Damen das Bedürfnis, den grünen Knopf zu drücken, um sie nach dem Darkdate näher kennenzulernen.

Generell halte ich ein solches Single-Event für nicht zielführend. Schließlich entscheidet der erste Blick, ob man mit jemandem ins Gespräch kommen möchte oder nicht. Diese Funktionalität erfüllt jede Online-Partnerbörse. Anders wäre es bei einem Gruppenevent, bei dem gemeinsame Unternehmungen wie Wandern, Tanzen oder Kochen im Vordergrund stehen. Besser noch eine zufällige Begegnung. Solch ein zwangloses Kennenlernen würde ich jedem Darkdate vorziehen.

Aber gut, diese Veranstaltung ist ein Gutschein-Geschenk von Calan gewesen, der diesen im letzten Jahr beim Schrottwichteln von einem seiner Mitarbeiter bekommen und an mich weitergereicht hat. Er möchte mich an die Frau bringen, wie er sagt. Er hat ja bereits eine. Außerdem würde es Zeit, dass ich wieder ein weibliches Wesen in mein Leben lasse.

Ich sehe das anders.

Eine Beziehung bringt Verpflichtungen mit sich, die ich nicht bereit bin, einzugehen.

Die Welt kennt mich als den smarten, weltgewandten CEO des Glenlaggan Castle. Die Gästestruktur in dem exklusiven Hotel ist gut situiert, Geld spielt keine Rolle. Und vernachlässigte Gattinnen können schon mal ziemlich deutlich werden, wenn sie einen Mann attraktiv finden.

Emilio, der Concierge, hat mich vorgewarnt, als ich den Job angetreten habe. Auch er erhält hin und wieder eindeutige Angebote. Beide lehnen wir sie natürlich stets ab. Selbst wenn die Dame äußerst attraktiv sein sollte. Der Ruf des Hotels steht an erster Stelle. Und was ich bei meinen Mitarbeitern nicht dulde, darf ich mir selbst nicht herausnehmen.

In meiner Freizeit bieten sich mir zudem genug Gelegenheiten. Diese nehme ich durchaus wahr. Im Laufe der Jahre habe ich eine ausgeklügelte Strategie entwickelt, um mit Frauen, die für mich in Reichweite sind, so lange wie möglich Sex haben zu können. Doch sobald ich sie spätestens das zweite Mal im Bett habe, werden sie uninteressant. Meistens, weil sie klammern. Oder nerven. In der Regel trifft beides aufeinander. Das braucht ein Mann wie eine dritte Schulter.

Dennoch fühle ich mich jedes Mal mies dabei und versuche, die Sache für die Frau nicht so schwer zu machen und nichts unnötig in die Länge zu ziehen.

Manchmal habe ich den Eindruck, Frauen finden es schön, begehrt zu werden. Wobei ihnen aussichtslos begehrt zu werden anscheinend noch viel besser gefällt. Wird die Sache zu kompliziert, schweigen sich die meisten Männer einfach aus. Sie antworten nicht auf Nachrichten, gehen nicht ans Telefon oder erfinden Ausreden und werden einsilbig – bevor die große Stille ausbricht.

Das widerstrebt mir. Es ist unfair der Frau gegenüber. Und verletzend.

Ich kläre die Dinge einfühlsam, auch wenn ich Herzen brechen muss. Nach zwei Mal Sex sind die Gefühle sowieso noch nicht so weit, als dass mein Verhalten größeren Schaden anrichten würde.

Auch bei mir selbst nicht.

Deswegen übernachte ich niemals bei einer Frau. Sobald man morgens neben einer aufwacht, erweckt man bei ihr die Aussicht auf eine Beziehung, auf eine romantische Liebe, darauf, den Traumpartner gefunden zu haben.

Wie oft im Leben begegnet man schon seinem Traumpartner?

Ich weiß es. Ein einziges Mal.

Und das ist schon lange her.

Ich setze mich, taste nach dem Wasserglas und nehme einen Duft wahr, der mir auf der Stelle gefällt.

Im Gegensatz zu den Aromen meiner heutigen Bekanntschaften, die meine Nase mit schwerer Süße und zu viel Moschus beleidigt haben, erreicht mich Amelies Parfüm luftig frisch und doch sinnlich. Ein bisschen Zitrus, Frühlingsblumen und darunter eine leicht holzige Duftnote.

Sehr angenehm.

»Guten Abend«, eröffne ich das Gespräch, erleichtert, dass dieses bislang fast unerträgliche Event doch noch eine positive Wendung nehmen könnte. Eigentlich wollte ich weiterreden, doch sie kommt mir zuvor.

»Hallo, Ryan, ich bin … Amelie. Aber wir wurden uns ja schon vorgestellt.« Ihre Stimme klingt leicht nervös, trotzdem hat sie einen schönen Klang. Nicht zu hoch, nicht zu tief.

Dame Nummer zwei hat mich diesbezüglich vor eine große Belastungsprobe gestellt, weil sie ohne Unterlass geredet hat wie ein Maschinengewehr. Ihre hohe Tonlage und die abgehackten Sätze hätten die Anspannung und Nervosität der Frau auf mich übertragen, wenn ich auch nur noch eine Minute länger am Tisch sitzen geblieben wäre.

Ob mit Licht oder ohne, jede Stimme übermittelt Emotionen auf den Zuhörer und übt eine bestimmte Wirkung aus.

Für die Frau mir gegenüber bekommen Stimme und Duft je einen Pluspunkt.

Diese Amelie macht mich neugierig. Somit verspricht dieser Abend, schlussendlich doch noch interessant zu werden. Zumindest für die verbleibenden Minuten.

»Hallo, Amelie«, beginne ich, unschlüssig, ob ich mit einer der üblichen Fragen eröffnen soll, wie: Wohnst du in Inverness? Wie jung oder alt bist du? Welchen Beruf übst du aus? Das sind zumindest die Fragen, mit denen ich konfrontiert wurde. »Welches …«

»Was für ein Aftershave benutzt du, Ryan?«, schießt es aus ihr heraus und ich muss leise lachen. »Oh, ist die Frage unangemessen?«

»Durchaus nicht. Ich nehme Creed Aventus«, antworte ich. »Aber ich wollte dich gerade dasselbe fragen.«

»Nun, ich benutze kein Aftershave. Und Creed kenne ich. Das ist eine Band. With Arms wide Open ist ein Song von ihnen. Haben die einen eigenen Duft herausgebracht? Kann ich mir gar nicht vorstellen.«

»Vermutlich nicht. Der Duft wird in der Familienwerkstatt der Creeds in England nach dem viertausend Jahre alten Millésime-Verfahren kreiert.«

»Was für ein Verfahren? Ach, egal, unsere Zeit ist knapp.«

Ich komme aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus. Wir sind mitten in einem kurzweiligen Gespräch, ohne die lästigen Standardfragen abzuspulen. Das ist sehr erfrischend. Zudem klingt ihre Stimme jetzt vergnügt und nicht mehr zittrig. Schöne Klangfarbe. Und sie kichert nicht. Eine Frau mit solch einer Stimme kann gar nicht unattraktiv sein, oder?

Ich möchte mehr von ihr hören.

»Und dein Parfüm ist …?«, frage ich. »Es duftet sehr angenehm.«

»Danke schön. Aber ich habe keine Ahnung, wie es heißt. Meine Freundin hat mich damit im Auto besprüht.« Sie seufzt. »Ich habe vergessen, welches aufzutragen. Normalerweise bin ich nicht vergesslich. Nur heute. Irgendwie.«

»Deine Freundin hat Geschmack.« Ich greife mit der linken Hand nach dem Wasserglas. Im Dunkeln ist das gar nicht so einfach.

Plötzlich berühren sich Amelies und meine Finger.

»Sorry, ich …«, stößt sie hervor. »Ich wollte einen Schluck trinken und … Oh!«

Bevor sie die Hand wegziehen kann, umfasse ich sie.

Zarte Haut, gepflegt, weich. Allmählich gefällt mir dieser Erstkontakt.

Ich hoffe inständig, dass mich das entlarvende Licht nicht enttäuschen wird, denn ich möchte diese Frau kennenlernen.

»Ist es dir unangenehm?«

»Nein«, haucht sie leise, und ihre Stimme klingt, als würde sie erröten. Wie bezaubernd. »Das … das ist schon okay.«

Schweigend kommunizieren wir über unsere Finger. Ich streiche mit dem Daumen über ihren zarten Handrücken, sie spiegelt die Geste bei mir. Dann legen wir unsere Fingerspitzen aneinander.

Es ist unglaublich, wie viel Emotionen über das Ausschalten des Sehsinnes und vor allem über diese Berührung geweckt werden.

Amelies Atem geht eine Spur schneller, ich kann es hören. Und fühlen. Ihre Fingerspitzen sind warm und begleiten jedes Ausatmen mit einem dezenten Vibrieren.

Noch viel unglaublicher ist jedoch, dass ich Gefallen an dieser zarten Annäherung finde – und dass ich mich darauf einlassen kann. Vielleicht liegt es an der Dunkelheit. Wir sehen uns nicht. Alle Sinne sind scharf geschaltet – bis auf einen. Das fasziniert und verblüfft mich gleichermaßen.

Acht Minuten können sich unendlich in die Länge ziehen.

Oder es trifft das Gegenteil ein.

Die Zeit mit Amelie ist definitiv zu kurz. Andererseits sträubt sich ein Teil in mir massiv dagegen, den grünen Button zu betätigen.

Ich muss mich entscheiden.

Ich hoffe, der Anfang des Romans hat dir gefallen, und du bist jetzt neugierig, wie es weitergeht.

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