Leseprobe

»Du liebe Güte!«, platzte es aus mir heraus. »Was ist denn da drin?«
»Dem Gewicht nach zu urteilen könnten es Backsteine sein.«
»Sie haben ja einen umwerfenden Humor.«
»Bringt der Beruf mit sich. Wollen Sie das Paket jetzt mitnehmen oder später abholen?«
Nach circa fünf Sekunden Grübeln winkte ich ab. »Nein, äh, ja. Ja, ich nehme es mit.«
Zumindest konnte ich anhand der Versandadresse »Doggis Lieblingsschmackofatz« auf den Inhalt schließen. Wahrscheinlich hatte meine Chefin den Jahresvorrat an Dosenfutter geordert. Und natürlich schickte man die Angestellte los, um es abzuholen …
Ob mein spontan entwickelter Plan funktionieren würde? Hund in Korb, Paket auf Gepäckträger und mit Leine fixiert. Das müsste theoretisch halten.
Theoretisch …
Der lebhafte Flummi hatte nämlich keine Lust aufs Lenkradkörbchen und versuchte mit aller Kraft, herauszuspringen, und das Rad kippelte bedenklich. Kein Wunder, auf dem Gepäckträger befand sich ein Jahresvorrat Schmackofatz.
Endlich schaffte ich es, Feli am Halsband zu packen, was zulasten des Fahrrades ging. Rad oder Leben. Feli bekam den Zuschlag.
Der Drahtesel kippte und fiel krachend um, aber das Hündchen hatte ich noch am Halsband erwischt. Jetzt baumelte Feli wie am Galgen und japste.
»Oh Gott, Feli, tut mir leid!« Schnell drückte ich sie an mich und kraulte ihr Fell.
Im nächsten Moment bog ein Fahrradfahrer mit mörderischem Tempo um die Ecke, sah mich, stieß einen Fluch aus und bremste brutal ab.
Es reichte nicht. Nur um Haaresbreite verfehlte er das am Boden liegende Paket und ich hörte nur noch: »Weg da!« Dann schlingerte er auf mich zu.
Ich war wie erstarrt, als er plötzlich vom Rad sprang, das scheppernd umfiel, und sich strauchelnd in mein Shirt krallte.
»Huh … Puh!« Er ließ mich los und starrte mich an, als hätte ich was im Gesicht.
Oh! Rote Flecken. Sicher diese verdammten roten Flecken an meinem Hals.
»Hallo?« Ich machte mit der Hand eine Scheibenwischerbewegung vor seinem Gesicht.
»Äh, ja. Hallo. Na, das ist ja gerade noch mal gut gegangen. Mit Ihnen alles in Ordnung?«
»Mit mir schon. Und mit Ihnen?«
Er zwinkerte verwirrt. Von so einem kleinen Beinahe-Zusammenstoß konnte man doch keinen Schock davontragen, oder? Meine Blicke wanderten hinunter zu seinen sehnig muskulösen Armen und weiter zum Sixpack, das sich unter dem eng anliegenden weiß-gelben Trikot deutlich abzeichnete. Du lieber Himmel, das hätte ich gerne mal ohne Shirt gesehen.
»Alles bestens, denke ich«, sagte er, ohne den Blick von mir abzuwenden. In den verspiegelten Gläsern seiner Sportlerbrille sah ich mich selbst entgeistert gucken wie ein Erdmännchen auf Speed. Ich hüstelte verlegen.
»Gott sei Dank. Und Ihr Rad?«
»Rad … Moment.«
Mit einigen wenigen, sehr fachmännisch wirkenden Handgriffen überprüfte er sein Fahrrad und stellte es an einen Busch. Dann kümmerte er sich um meines, hob es hoch und zurrte das Paket mit der Hundeleine fest. Diesmal hatte es den Anschein, als würde es halten.
»Danke, das ist echt nett von Ihnen.«
»Keine Ursache, zum Glück sind wir nicht ineinander gerauscht. Das hätte anders ausgehen können. Wo soll der Hund hin?«
»Ins Körbchen«, sagte ich und setzte Feli hinein. Die Schlechten ins Körbchen, die Guten ins Törtchen, oder so ähnlich. Zu meiner Erleichterung hielt Feli jetzt still und arrangierte sich mit dem zugewiesenen Platz. Warum sie mit einem Male so brav war, erschloss sich mir nicht. Wahrscheinlich hatte Feli eine gespaltene Persönlichkeit.
Ich übernahm den Lenker und bedankte mich erneut bei Mr. Sixpack. Diese Spiegelbrille irritierte mich. Und der hellrosa Streifen auf der linken Seite seiner Unterlippe ebenfalls.
»Tschuldigung, aber …« Ich strich mit dem Finger über meine eigene Lippe. »Sie haben das was auf Ihrem Mund.«
»Was?« Er spiegelte meine Bewegung. »Ach das. Das ist nur der Rest vom Sunblocker meiner Schwester. Ich habe meinen verlegt. So …« Er nickte mir zu. »Jetzt muss ich aber los, sonst komme ich zu spät.« Er tippte noch einmal an den Helm und schwang sich auf sein Fahrrad.
Schöne Waden hatte er, der Lippenstift-Radler. Lebte der etwa noch mit Schwesterchen zu Hause?